Der letzte Seesender der Welt

Eine Reise nach Israel

Ein Bericht von Martin van der Ven aus dem Jahr 1999

English version

Nach dem Ende der Offshore-Radiosendungen von Radio Caroline im November 1990 gab es in Europa während des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts nur noch zwei kurzlebige Offshore-Stationen: Radio Brod, das 1994 vor der Küste des ehemaligen Jugoslawiens sendete, und Offshore 98, ein nur ein Wochenende dauerndes Radioprojekt zu Ostern 1999.

Im Nahen Osten hingegen erlebten die Seesender weiterhin eine Blütezeit – selbst nachdem Abie Nathan im November 1993 die Voice of Peace eingestellt und sein Schiff MV Peace versenkt hatte. Mehrere neue Stationen kamen und gingen, darunter Arutz 2000 von der King David vor Tel Aviv. Und Arutz Sheva, das bereits seit November 1988 auf Sendung war, sendete weiterhin noch von der MV Hatzvi – es war der letzte aktive Seesender der Welt.

Ankunft in Israel

Vom 31. Oktober bis 14. November 1999 hatte ich die Gelegenheit, Israel zu besuchen – eine Reise, die nahezu alle Sehenswürdigkeiten des Landes einschloss. Als meine Frau und ich am späten Nachmittag am internationalen Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv ankamen, fuhr unser Bus zu einem Hotel an der Küste. Schon bei der Ankunft sah ich die Lichter und Masten der beiden verbliebenen Sendeschiffe: links die King David, rechts die MV Hatzvi von Arutz Sheva. Der Abstand zwischen beiden betrug schätzungsweise eine halbe Meile, und sie lagen so nahe am Ufer, dass eindeutig klar war: Sie befanden sich in israelischen Hoheitsgewässern.

Ich hatte meinen Empfänger dabei – einen Sangean ATS 818 ACS mit eingebautem Kassettenrekorder. Im Sheraton Moriah Hotel war der Empfang der MV Hatzvi natürlich hervorragend (die King David sendete seit über zwei Jahren nicht mehr, lag aber noch immer vor der Küste). Arutz 7 betrieb zu dieser Zeit zwei UKW- und zwei Mittelwellensender:

  • 1143 kHz und 105,2 MHz für das hebräische Programm,
  • 702 kHz und 98,7 MHz für das internationale Programm – mit Sendungen vor allem in Englisch und Russisch sowie speziellen Torah- und Bibelprogrammen.

Sowohl auf Mittelwelle als auch auf UKW klang das Signal etwas flach und nur mäßig moduliert.

Ein Blick auf das Programm

Schnell wurde deutlich, dass Arutz Sheva ein Talkradio mit stark politischer Ausrichtung war. Zwischen den Diskussionen und Kommentaren lief hin und wieder hebräische Volksmusik. Der Sender vertrat eine dezidiert rechtsgerichtete, teils radikale politische Linie.
Doch kurz vor Mitternacht überraschte der internationale Dienst mit einer Rocksendung, moderiert von einem amerikanischen Sprecher, der „live on air“ sein wollte, aber sichtlich Probleme mit dem Mischpult hatte. Gespielt wurden u. a. Titel von den Beatles, Dire Straits, Wet Wet Wet, Eric Burdon & The Animals und Bob Dylan.

Mitschnitte vom hebräischen Arutz-Sheva-Programm (aufgenommen am 31.10.1999 in Tel Aviv):

Mitschnitte vom englischen Service (aufgenommen am 31.10. und 1.11.1999 in Tel Aviv):

Unterwegs im Land

Am Montagmorgen, dem 1. November, bot sich vom Strand ein faszinierender Blick auf beide Schiffe, als die Morgensonne die blau gestrichene MV Hatzvi erstrahlen ließ. An diesem Tag fuhren wir nach Haifa – allerdings konnte ich dort Arutz 7 kaum empfangen, da auf dem Hoteldach offenbar die Antenne von Radio Haifa montiert war, die andere UKW-Sender massiv störte.

Radio Haifa (107,5 MHz) ist übrigens bemerkenswert: Es handelt sich um den ehemaligen Offshore-Sender Radio One, der 1991/92 von der MV Polaris vor Haifa sendete und inzwischen ein legaler, landgestützter Popsender ist. Man kann ihn durchaus mit Radio Veronica (Niederlande) oder Radio Hauraki (Neuseeland) vergleichen – ein modernes, europäisch klingendes Format mit Top-40-Musik und professionellen Jingles.

Weiter ging es an den See Genezareth im Nordosten Israels. Der Empfang von Arutz Sheva war dort schwach: 1143 kHz kam nur verrauscht an, 702 kHz gar nicht, und 105,2 MHz lieferte ein kaum hörbares Signal – vermutlich von einem landbasierten Ersatzsender. Zudem wurde der Empfang durch benachbarte Frequenzen gestört.
Am Freitagabend stellte ich fest, dass Arutz Sheva zum Beginn des Schabbats abgeschaltet hatte; erst etwa 25 Stunden später – am Samstagabend – nahm der Sender den Betrieb wieder auf. Auch in Jerusalem, wohin wir inzwischen weitergereist waren, blieb der Empfang aber schwierig.

Treffen mit Mike Brand
Mike Brand

Am Dienstag, dem 9. November, nahm ich den Bus 405 von Jerusalem nach Tel Aviv, um Mike Brand, den israelischen Offshore-Radioexperten, zu treffen. Der 42-Jährige lebt seit 25 Jahren in Israel und bedauerte, dass es trotz der einzigartigen Geschichte von Abie Nathans Voice of Peace keine lebendige Offshore-Radioszene mehr im Nahen Osten gibt.

Mike hatte versucht, eine Bootsfahrt zu den verbliebenen Schiffen zu organisieren – doch nur zwei Skipper waren bereit, uns mitzunehmen, und beide verlangten hohe Summen. Während wir uns durch den dichten Verkehr kämpften und am Strand einen Parkplatz suchten, erzählte Mike, dass die Programme von Arutz Sheva offenbar an Land produziert und auf Band zur Ausstrahlung an Bord gebracht würden. Die Talkshows bestünden überwiegend aus Telefonaten, Reden und Kommentaren.
Er war sich nicht sicher, ob Arutz 7 wirklich auf alle zusätzlichen landgestützten Sender verzichtet habe, und gab zu, das Programm wegen seiner politischen Ausrichtung kaum zu hören. Nur am frühen Morgen spiele der Sender ununterbrochen hebräische Musik, um ein breiteres Publikum zu gewinnen.

Mike zweifelte daran, dass Arutz Sheva jemals legalisiert werden könnte. Auch wusste er nicht, warum die King David (das frühere Arutz 2000-Schiff) noch immer vor der Küste lag, obwohl sie seit mehr als zwei Jahren verstummt war. Heute sende Arutz 2000 wieder – jedoch als landgestützter Piratensender.
„Ich habe keine Ahnung, was sie mit dem Schiff eigentlich vorhaben“, meinte er.

MV King David
Die Bootsfahrt
Mirochenik Elchanan

Am Yachthafen von Tel Aviv trafen wir schließlich Mirochenik Elchanan, der für eine einstündige Fahrt zu den Schiffen etwa 150 US-Dollar (inklusive Steuern) verlangte. Wir zögerten nicht lange – Mike, der noch nie einen Trip zu einem Sendeschiff gemacht hatte, meinte: „Das ist eine Gelegenheit, die wir nie wieder habenwerden.“

Der Skipper bekam also sein Geld, bot uns Kaffee an und erzählte stolz, dass er seit Jahren nahezu alle Tenderfahrten zur MV Peace und heute zur MV Hatzvi durchführe – schätzungsweise rund 5000 Fahrten zur Voice of Peace!
„Ich kenne sie alle – Kenny Page und Hunderte englischer DJs“, sagte er. Er sprach eine Mischung aus Hebräisch (mit Mike), Englisch und Niederländisch (mit mir), da seine Frau aus den Niederlanden stammte.

„Abie Nathan tat immer so, als hätte er kein Geld“, erzählte er weiter. „Ich musste manchmal sogar Reis für die Crew der Voice of Peace aus eigener Tasche kaufen. Gelegentlich gab ich ihnen einen Teil der Vorräte von Arutz 7, damit sie überhaupt etwas zu essen hatten. Abie klagte ständig über Geldmangel und wollte manchmal nur zehn Dollar für eine Tenderfahrt zahlen. Als er 1993 mehrfach ankündigte, das Schiff versenken zu wollen, war das zunächst reiner Bluff. Das Schiff war ohnehin nur noch ein rostiger Kahn, keinen Cent wert. Er hatte bereits alles Brauchbare heruntergeholt – die Senderanlagen gingen zu den Palästinensern. Durch die Versenkung sparte er sich die hohen Kosten für das Abwracken. Später musste er zwar vor Gericht erscheinen, aber dank guter Kontakte entging er einer Strafe.“

Besuch bei der MV Hatzvi

Schließlich startete Mirochenik sein Schnellboot, und unsere Fahrt begann. Das Wetter war traumhaft – 26 Grad, keine Wolken, kaum Wind – und die Skyline von Tel Aviv glänzte in der Sonne. Nach 15 Minuten erreichten wir die King David, die trotz ihres hohen Mastes einen traurigen Eindruck machte: ein rostiges, offensichtlich seeuntüchtiges Schiff, offenbar nur von einer Person bemannt, die nicht reagierte, als wir ihr zuwinkten.

Mike war stolz: Seiner Meinung nach waren wir die ersten Menschen, die dieses Schiff in internationalen Gewässern fotografierten.

MV Hatzvi

Anschließend fuhren wir weiter zur MV Hatzvi, die ganz in der Nähe vor Anker lag. Unter dem Schriftzug „HATZVI“ war noch deutlich ihr früherer Name HAIDUSZOBOSZLO zu erkennen. Im Vergleich zur King David machte sie einen gepflegten Eindruck. Wir sahen sechs Personen an Bord – zwei davon am Heck –, die uns freundlich zuwinkten.

Martin van der Ven photo Mike Brand

„Das sind keine streng religiösen Leute, wie man vielleicht denken würde“, bemerkte Mike. Mirochenik umrundete das Schiff mehrfach und nahm Funkkontakt mit der Besatzung auf. Einer der Männer wollte spontan an Land, also fuhren wir näher heran. Er sprang auf unser Boot und brachte mehrere Kassetten mit, die offenbar zuvor im Sender abgespielt worden waren.
„Die MV Hatzvi war seit Monaten nicht mehr im Hafen – aus Sicherheitsgründen“, erklärte der Skipper.

Wir machten zahlreiche Fotos und Videoaufnahmen und fuhren schließlich zurück nach Tel Aviv.

Abschied

Mirochenik war stolz, dass sein Foto später im Internet veröffentlicht wurde, und erzählte uns noch viele persönliche Geschichten. Mike und ich waren am Ende glücklich, diese Reise zu den beiden Radioschiffen unternommen zu haben.

Als wir am Sonntag, dem 14. November, von Tel Aviv nach München zurückflogen, konnten wir beide Schiffe noch einmal deutlich vor der Küste liegen sehen…

Hier stehen 96 Fotos.

Und noch ein Video von unserem Trip: