Teil 3: 1981-1999

1981-83

Am 23. Juli wurde unser Sohn David geboren. Einige Tage später – Ulrike lag noch im Wochenbett im Hiltruper Krankenhaus – suchte ich nachmittags auf dem Receiver im Wohnzimmer unserer Münsteraner Wohnung mal wieder die Mittelwellenskala ab. Auf einer sonst in der Regel „stillen“ Frequenz hörte ich heute in sehr guter Qualität non-stop-Popmusik, darunter auch vereinzelte holländische Titel. Das wird ein besonders starker Landpirat sein, dachte ich und vergaß es während der kommenden Tage. Dabei hatte ich unwissend einen neuen Seesender empfangen – Radio Paradijs von der MV Magda Maria. Der Sender ist vor allem durch seine Kurzlebigkeit von nur 9 Tagen Sendebetrieb in die Radiogeschichte eingegangen, da dann schon die Behörden eingriffen…

In den beiden folgenden Jahren vermehrten sich die Hinweise auf die angebliche „MV Imagine“, mit der Radio Caroline einen Neustart versuchen wollte. Selbst einige Schwarzweißbilder in mäßiger Qualität wurden veröffentlicht, aber ich blieb skeptisch.

Inzwischen bestellte ich regelmäßig Kassetten, Schallplatten, Tonbänder, Poster, Fotos, Dias und Bücher zum Thema „Offshore Radio“ vornehmlich in den Niederlanden und in England. Auch Peter Messingfeld bot interessantes Material an und schickte regelmäßig ein informatives Beiheft. Hans Knot aus Groningen schrieb meist ein paar persönlich gehaltene Sätze in seinen Begleitschreiben. Bei ihm bestellte ich 12 Tonbänder mit 69 Stunden „Geschichte der Seesender“. Das große Paket war dann beim Zollamt nur gegen 46,- DM Zollgebühr abzuholen.  Ich protestierte heftig in der zuständigen Münsteraner Amtsstube und hatte schließlich Erfolg. Man begriff mühsam, dass es sich hier nicht um hochwertige teure Bänder sondern um Hobbymaterial handelte, das unter Freunden für einen günstigen Preis weitergeben wurde.

Die Studienzeit ging nun ihrem Ende entgegen, und im November 1982 bestand ich das 3. medizinische Staatsexamen und promovierte wenige Wochen später. Ab Januar 1983 arbeitete ich als Assistenzarzt in der Klinik für Psychiatrie der Universität Münster. Meine Ehefrau studierte zu diesem Zeitpunkt im zweiten Bildungsweg Psychologie und wollte später Psychotherapeutin werden.  Dies tat ihrem Verständnis für mein eigenwilliges Hobby sicherlich keinen Abbruch… Wir wohnten nun in Münster-Hiltrup und hatten wahrlich genug Arbeit, zumal uns auch unser Sohn entsprechend forderte. Dennoch vergaß ich mein Radiohobby nie. Ich kaufte mir von einem meiner ersten Gehälter einen neuen Weltempfänger, den Grundig Satellit 300.

Wegen der ständigen Gerüchte suchte ich auf der Mittelwelle permanent nach ersten „verdächtigen“ Signalen. Dennoch verpasste ich den Neustart Radio Carolines von der MV Ross Revenge um wenige Tage. Am Sonntagabend, dem 21. August 1983 traute ich vor dem Zubettgehen (das neue Gerät stand nämlich auf meinem Nachttischchen) meinen Ohren nicht: Ich hörte Dixie Peach mit einer Stationsansage von Radio Caroline auf 963 kHz („319“) – also zwei Tage nach dem offiziellen Wiederbeginn.

Nun sollte also alles noch mal von vorn losgehen?! Ulrike gratulierte mir etwas gequält, und während der Arbeit am nächsten Tag überlegte ich, ob ich noch leere Tonbänder hatte bzw. welche älteren Aufnahmen ich löschen könnte. Erstaunlicherweise war neben Tom Anderson auch Andy Archer wieder mit von der Partie, den ich am nächsten Nachmittag erstmals seit 10 Jahren wieder hörte. Zu meinem Leidwesen schien er sehr diszipliniert zu Werke zu gehen und sich auf die Ansagen der Musiktitel zu beschränken. Überhaupt verbreitete das neue Caroline zwar gute LP-Musik, aber die Diskjockeys hörte man nur sporadisch, und kaum je kam etwas über die Verhältnisse an Bord zur Sprache. Scheinbar zielte man auf ein seriöses Adult-Rock-Format mit einer breiten Hörerschaft auch außerhalb der Anorakszene, was mir nicht sonderlich erfolgversprechend schien. Entsprechend hörte man in den kommenden Monaten kaum Werbung, und mich beschlich trotz toller Fotos vom Sendeschiff mit dem höchsten je errichteten Mast und dem sauberen, durch die Optimodanlage verbesserten Klang des starken Senders ein ungutes Gefühl.

Mein altes „Seesenderfeeling“ war aber auf jeden Fall wieder da. Es verging kein Tag, an dem ich nicht zu Hause und im Auto mit meinen verschiedenen Empfangsgeräten Radio Caroline hörte. Zu allen Tages- und Nachtzeiten probierte ich die Empfangsqualität aus, bemerkte vermeintliche Unterschiede und registrierte jegliche Änderungen der Mannschaft an Bord. Ich erstellte aktuelle Sendepläne und machte wie gewohnt meine Mitschnitte.

1984

Zum Jahreswechsel las ich dann erstmals von einem neuen Schiff, das in den USA ausgerüstet worden war und bald als „Laser Radio“ die Sendungen aufnehmen sollte. Am 21. Januar, einem Samstag, fuhr ich mit David zu meinen Schwiegereltern nach  Meppen. Es war ein sehr kalter Tag, und Schnee kündigte sich an. Auf der Autofahrt suchte ich mal wieder die Skala ab und fand einen mir unbekannten Sender auf 729 kHz, der non-stop Beatlesmusik spielte. Die Zusammenstellung der Titel gefiel mir recht gut, und das Signal kam auch ganz gut herein. Erst wenige Wochen später las ich dann, dass es sich um Tests von “Laser 730” von der MV Communicator gehandelt hatte. Man probierte das neue Antennensystem mit einem Heliumballon aus, der sich aber während eines Sturms noch in der Nacht selbständig machte und am Horizont verschwand.

Ich war nun entsprechend alarmiert und erwartete täglich den Beginn regelmäßiger Sendungen von der Communicator. Und tatsächlich hörte ich dann am 24. Mai, dem ersten Sendetag von Laser 558, morgens vor der Fahrt zur Arbeit die ersten Ansagen von Ric Harris. Leider war der Empfang in Münster sehr durch den Deutschlandfunk auf der Nachbarfrequenz 549 kHz gestört.  Da man vor allem Wortbeiträge sendete, mischte sich ständig ein störendes Zischen in das Lasersignal, das nur bei klassischer Musik im DLF besser zu hören war. Bei meinen Eltern in Millingen am Niederrhein sah die Situation schon anders aus. Dort gelang der Empfang recht gut, und so machte ich wenige Tage später meine ersten Lasermitschnitte. Laser 558 sendete rund um die Uhr Chartmusik, unterbrochen nur von kurzen Ansagen der amerikanischen Diskjockeys. Deren Akzent war für mich dann auch das hauptsächlich Interessante an diesem Sender, der in England sogleich eine große Hörerschaft fand. Leider bekam man vom Leben an Bord durch die Sendungen kaum etwas mit. Nichtsdestotrotz: Ich hörte täglich rein, und „Careless Whisper“ von George Michael geht mir noch heute durchs Ohr, wenn ich an diesen Sommer denke. [ ]

Für Caroline tat es mir etwas leid. Man hatte noch immer kaum Werbekunden gefunden und setzte nun wegen der Konkurrenz von Laser zusätzlich noch einen schwächeren Sender auf 576 kHz ein, der in der Bundesrepublik aber recht stark durch einen DDR-Sender auf dieser Frequenz gestört wurde. Zu Ende Mai nahm ich an einer einwöchigen Psychotherapiefortbildung auf der Nordseeinsel Langeoog teil und genoss zwischen den Vorträgen und Seminaren den Luxus von drei Offshore-Signalen auf 558, 576 und 963 kHz mit dazu noch sehr guter Empfangsqualität. Wer hätte sich das träumen lassen.

Ähnlich verhielt es sich im Sommer. Ulrike, David und ich verbrachten wunderschöne Augustwochen in einem Ferienhaus an der dänischen Nordseeküste in Vester Husby (Westjütland). Hier hörte ich mit Freude Johnny Lewis (der 1979 schon mal als Stephen Bishop auf der Mi Amigo war), der das Carolineprogramm gemeinsam mit Jay Jackson (als Crispian St. John schon mehrfach erwähnt und zuletzt jahrelang auf der Voice of Peace vor Israel tätig) wesentlich auflockerte, ständig gute Laune zu haben schien und auch für mehr Transparenz nach außen sorgte. [ ] Leider war der Laser-558-Empfang in Dänemark durch einen weiteren DDR-Sender kein großer Genuss.

Alle Bemühungen um ein etwas attraktiveres Caroline-Programm (wie schade, dass man nicht wie ursprünglich vorgesehen ein „Gold“-Programm realisiert hatte) konnten nicht verhindern, dass sich die Geschichte wiederholte: Die Geldvorräte gingen zur Neige, und man war wieder auf Finanzspritzen aus den Niederlanden angewiesen. Also bekam im Dezember „Radio Monique“ den stärkeren Sender auf 963 kHz. Ich hütete wegen einer Grippe das Bett und hörte somit am 15. Dezember live den Fehlstart mit Ad Roberts (er begann mit einem falschen Jingle) und Maarten de Jong. Nun war nur zu hoffen, dass sich Radio Caroline finanziell stabilisieren würde, sozusagen „Solid As A Rock“ (Radio Moniques erster „Satellietschijf“ von Ashford and Simpson).

1985

Im März fuhren wir wieder nach Vester Husby, und dies sollte in den nächsten beiden Jahrzehnten eine gewisse Tradition werden. Da die Caroline-Sendungen tagsüber ja nur noch auf 576 kHz liefen und dazu der schwächere Mittelwellensender herhalten musste, hatte sich der Empfang auch in England vor allem im Winter deutlich verschlechtert. Da der Nachbar Laser 558 zudem wie eine Bombe eingeschlagen war und von den Medien immer wieder in den Mittelpunkt gestellt wurde, drohte man mehr und mehr ins Hintertreffen zu geraten. In Dänemark stellte ich morgens plötzlich einen Wechsel auf 585 kHz fest, der zumindest in dieser Empfangsregion zu einem wesentlich besseren Signal führte. Sogleich bespielte ich einige Kassetten (ich nahm zur Freude meiner Frau immer mein Equipment mit, auch wenn wir im Auto nicht so viel Platz hatten…). [ ] Viel Freude hatte ich zu dieser Zeit an Jay Jackson’s Programm morgens zwischen 9 und 12 Uhr. So musste Radio Caroline in meinen Augen klingen: Viele Oldies, Jingles und etwas „Chat“. [ ] Bei Laser 558 waren inzwischen die „Laserettes“ eingekehrt (Chris Carson, Liz West, Erin Kelly, Jonell, zuvor schon Jessie Brandon und Holly Michaels), die mir allesamt recht gut gefielen, zumal weibliche Diskjockeys an Bord von Schiffen doch eine ziemliche Neuerung waren. Mit Radio Monique hingegen konnte ich mich noch nicht so recht anfreunden. Im Frühjahr kaufte ich mir ein preiswertes Hitachi-Kassettendeck, das mir 20 Jahre lang gute Dienste leisten sollte und mit dem ich in diesem Zeitraum mehrere hundert Aufnahmen machte.

Nachdem Ulrike im Herbst ihr Diplom erreicht hatte, waren wir wieder in Husby. Inzwischen hatte sich das Blatt doch gewendet. Auch Laser 558 wurde trotz der zahlreichen Hörer und aller Vorschusslorbeeren nicht zum erhofften kommerziellen Erfolg. Im August war man durch „Euroseige“ in die Enge getrieben worden, als die englischen Behörden ein Schiff zur Überwachung der Bevorratung in der Nähe der Ross Revenge und der Communicator verankerten. Charlie Wolf veralberte die Aktion zwar auf unnachahmliche Weise, aber dennoch schien Lasers Ende näher gekommen (leider konnte ich Charlies Shows am späten Abend in der Bundesrepublik nie vernünftig empfangen und war daher auf Kaufkassetten aus England oder Holland angewiesen). Die beliebten Diskjockeys wurden im Herbst durch bislang unbekanntes Personal ersetzt, dem ich hier in Dänemark lauschte und an das sich die Hörer erst einmal gewöhnen mussten. Finanzielle Probleme, umknickende Masten, fehlender Treibstoff, defekte Generatoren – es war das alte Lied, die Luft war raus. Und so gab der Kapitän zu Anfang November schließlich auf und fuhr das Schiff in einen englischen Hafen. Umso fixer reagierte Radio Caroline: Man sendete in den Nachrichten einen wehmütigen Nachruf auf den Konkurrenten, „besetzte“ aber sogleich Lasers Frequenz 558 kHz. Ich erlebte dies mit zwiespältigen Gefühlen, war aber auch froh, das von im Vergleich zu Laser bevorzugte Caroline nun wieder in etwas besserer Qualität zu empfangen.

1986

In der zweiten Februarhälfte verbrachten die erneut schwangere Ulrike und ich einige Tage in einem schönen Hotel auf Norderney. Es wehte ein kräftiger Ostwind, die Minustemperaturen erreichten ein Rekordniveau und am Strand stapelten sich  Eisschollen. Es blieb umso mehr Zeit zum Radiohören und Kassettenbespielen. Caroline 558 versuchte sich inzwischen unter der Leitung von Peter ‚World Service’ Philips als Laser-Nachfolger und dudelte tagsüber einen Charthit nach dem anderen. Das Format war recht straff, aber die Ansagen während der Plattenintros ohne jegliche Musikpausen gingen mir doch manchmal auf den Wecker. Kevin Turner machte einen professionellen Eindruck, und David Foster hatte in dieser Woche seinen kurzen Auftritt an Bord. „West End Girls“ von den Pet Shop Boys wird mir für immer in Erinnerung bleiben als ständig gespielter Tophit.

Inzwischen hörte ich auch auch Radio Monique. Auf Norderney hatte man natürlich ein ganz sauberes, starkes Signal, und die prima Livesendung „Windkracht 4 tot 6“ mit Jan Veldkamp erinnerte mich bisweilen ein wenig an Driemaster auf RNI.

Im März wechselte ich für anderthalb Jahre in die Klinik für Neurologie ebenfalls am Münsteraner Uniklinikum. Das bedeutete mitunter längere  Arbeitstage und vor allem auch anstrengendere Nachtdienste – und somit weniger Zeit zum Radiohören. Aber auf dem Weg zur Arbeit (jeweils 25 Minuten im Auto hin und zurück) hörte ich alle möglichen Kassetten mit Offshore-Aufnahmen, die ich entweder selbst aufgenommen hatte (meist bei meinen Eltern) oder von überall her erwarb.

Im Juni wurden wir zum zweiten Mal stolze Eltern, als Miriam geboren wurde. Sie war erst 3 Monate alt, als wir im September Sommerurlaub in einem Ferienhaus auf Ameland machten. Inzwischen hatte ich mir einen weiteren Empfänger zulegt, da mir der Mittelwellenempfang des Satellit 300 nicht optimal erschien. Mit dem Panasonic GX10II hatte ich tatsächlich bessere Resultate. Allerdings musste man auf Ameland für Caroline 558 den Ferritstab mit Millimeterarbeit ausrichten, um die Interferenz mit dem ostdeutschen Sender auf derselben Frequenz zu minimieren. Ich genoss die Breakfastshow mit Johnny Lewis und das Midmorning-Programm mit Peter Philips.  [ ] Auch Richard Jackson arbeitete sehr professionell. Bei Radio Monique (glasklarer Empfang) wurde Ad Roberts immer besser. Abends konnte man mit etwas  Glück ein recht sauberes Signal von „Caroline Overdrive“ auf 963 kHz mit Tom Anderson empfangen, dessen Musik mir aber inzwischen etwas zu schräg geworden war. Miriam lag meist friedlich schlafend bei schönem Spätsommerwetter im Kinderwagen auf der Terrasse, und der „große“ Bruder David interessierte sich nun schon etwas für die Sender auf den Caroline-Schiff und ließ sich entsprechende Geschichten erzählen… Derweil dudelten unentwegt Bruce Hornsby and The Range mit „The Way It Is“ und die Human League mit „Human“ aus dem Radio…

Ab Oktober arbeitete ich wieder in der Psychiatrie, zunächst im Alexianer-Krankenhaus in Münster-Amelsbüren, ab April 1987 dann erneut in der Uniklinik. Wie schon im Studium fand ich auch hier unter meinen Kollegen so gut wie niemanden, der am Thema „Radio“ oder gar „Seesender“ interessiert war. Die Stichworte „Radio Veronica“ oder „Radio Caroline“ finden zwar in deutschen Ohren bis heute oft noch einen gewissen Widerhall, sind aber meist doch nur mit schwachen und sehr ungenauen Erinnerungen verknüpft („Mal davon gehört, waren das nicht Schiffe?“). Ich blieb somit bezüglich meiner heimlichen Leidenschaft „mutistisch“, musste ich doch befürchten, dass meine Begeisterung für phallisch-mächtige Sendemasten und spätpubertär-aufbegehrende, meist männliche Diskjockeys bei tiefenpsychologisch denkenden Psychotherapeuten – und ich war ja nun auch bald einer – zu (natürlich völlig unzutreffenden!) Interpretationen oder Frotzeleien führen konnte. Bislang hatte ich auch noch keine anderen Seesenderfreunde persönlich kennengelernt, wenngleich ich längst schriftliche Kontakte beispielsweise mit Hans Knot, Karl Landmann, John Burch oder Peter Messingfeld hatte. Auch an den von Rob Olthof aus Amsterdam seit 1983 immer wieder veranstalteten Boottrips zur Ross Revenge habe ich nicht teilgenommen – teils aus einer gewissen Trägheit heraus (die Wochenenden nutzte ich zur Erholung von den anstrengenden Krankenhaus-Diensten und widmete mich meiner Familie), aber auch aufgrund mehrfacher Berichte von unsäglich seekranken Anoraks und langen Irrfahrten durch die Themsemündung. Das machte mir nicht gerade Mut.

Durch die in dreiwöchigen  Abständen erscheinenden Freewave-Hefte aus den Niederlanden und vor allem die wöchentlich (!) zugesandten Nachrichtenblättchen von „Anoraks UK“ war ich inzwischen immerhin besser über die aktuellen Geschehnisse im Hintergrund informiert. So war es dann zu Anfang Dezember auch keine große Überraschung mehr, als die MV Communicator nach Täuschungsmanövern des neuen Besitzers Ray Anderson in internationale Gewässer vor der englischen Küste zurückkehrte und als „Laser Hot Hits 576“ einen neuen Start versuchte. Bezüglich des Empfangssignals ergab sich nun für Laser das zuvor schon bei Radio Caroline gekannte Problem: 576 kHz war im Vergleich zu 558 kHz die deutlich schlechtere Frequenz, insbesondere im Winter und vor allem auch in der Bundesrepublik. Dennoch gefiel mir der neue Sender auch wegen der hervorragenden Jingles. Nur Paul Dean (als Paul May schon 1971 bei RNI dabei) war als einziger Laser-558-Jock noch mit an Bord.

Mein jüngerer Bruder Christian verbrachte Silvester und Neujahr mit Studienkollegen in Cadzand in der niederländischen Provinz Zeeland. Es gelang mir, ihn davon zu überzeugen, dass er mein Kofferradio und das Kassettendeck mitnehmen musste, um rund 10 Kassetten von Caroline 558 für mich aufzunehmen. Die Qualität war angesichts des Empfangsstandorts überzeugend. Noch heute höre ich gern Christians Aufnahmen von den Shows mit Keith Lewis, Richard Jackson und Dave James, und „Land of confusion“ von Genesis lässt immer noch die Lautsprecher vibrieren. [ ]

1987

Mehrfach hatte ich schon von Antennenverstärkern und Rahmenantennen gelesen, mit denen man das Mittelwellensignal verbessern konnte. Entsprechende Geräte waren aber meist nur für ohnehin teure Empfänger geeignet, die über eine Eingangsbuchse für Außenantennen verfügten. Bei Anoraks UK wurde nun eine  Rahmenantenne zu einem erschwinglichen Preis angeboten, die einfach nur neben, hinter oder auch auf das Gerät zu stellen war (ohne Stromzufuhr) und bei der man auch noch eine exakte Justierung hinsichtlich der zu verstärkenden Frequenz vornehmen konnte. Es hörte sich alles ziemlich unglaubwürdig an. Vor allem wegen des schwachen Laserempfangs wagte ich dennoch die Bestellung und erhielt dann zu Beginn des Jahres eines der größten Pakete, die mir jemals zugeschickt wurden. Und meine Erwartungen wurden haushoch übertroffen. Dies war die beste Investition in mein Hobby seit langem! Das jeweilige Mittelwellensignal ließ sich mit geringem Aufwand in der Qualität fast verdoppeln, und durch die genaue Ausrichtung der Rahmenantenne (ähnlich wie bei Ferritstäben) waren zudem störende Sender auf derselben Frequenz meist sehr gut auszublenden. Ich war absolut begeistert und nur ein bisschen traurig, dass ich dieses Gerät wohl zwanzig Jahre zu spät bekommen hatte. Der Nachteil der  Rahmenantenne war einzig ihre sperrige Größe und der dadurch noch verminderte Platz im Kofferraum unseres Autos.

Als wir im März erneut nach Husby in Dänemark fuhren, mussten also nicht nur die notwendige Winterkleidung für zwei Erwachsene und zwei Kinder mit allem notwendigen Zubehör für einen Säugling mitgenommen werden, sondern auch das Radiogerät, der Kassettenrekorder und die Rahmenantenne. Ganz ähnlich wie bei allen weiteren Urlaubsfahrten in den kommenden 3 Jahren… Aber der Aufwand lohnte sich (für mich): Der Empfang war nicht nur in Dänemark sondern egal wo um Längen besser, und selbst kleine englische Privatstationen kamen nun morgens hörenswert herein. In Husby hörte ich nicht nur Caroline 558 mit Mark Matthews sondern auch regelmäßig Laser Hot Hits 576 mit Brandy Lee und Paul Jackson, wenige Wochen später am Niederrhein dann erneut Paul mit dem traurigen Bericht vom Untergang der  Herald of Free Enterprise in der Themsemündung. [ ]

Im Hochsommer machten wir Urlaub in einer Ferienwohnung in Bruinisse in der Nähe von Zierikzee in der niederländischen Provinz Seeland. Mit der  Rahmenantenne hatte ich hier die besten Empfangsergebnisse aller Zeiten. Die damaligen Mittelwellenaufnahmen machen mich noch heute stolz und klingen fast, als wären sie an Bord aufgenommen. Kaum ein hörbarer klanglicher Unterschied mehr zwischen 558 und 963, keinerlei Rauschen, ein klares, angenehmes Signal. [ ] Nur schade, dass Laser Hot Hits inzwischen der Vergangenheit angehörte. Ich beschränke mich also auf Caroline 558 (Jackie Lee, Jamie King, Kevin Turner, Keith Francis, Paul Graham) und Radio Monique (Jan Veldkamp, Ad Roberts) und hörte morgens auch Tony Blackburn bei BBC Radio London.

Im November stürzte die vermeintlich heile Welt dann in sich zusammen: Der Mast auf der Ross Revenge knickte um, und die Mannschaft an Bord konnte von Glück reden, dass das Schiff nicht gekentert und gesunken war. Mit viel Erfindungsgeist bastelte man eine kleine Behelfsantenne und Caroline 558 nahm zwar noch vor Weihnachten seine Sendungen wieder auf, die ich aber auch mit der Rahmenantenne anfangs nur erahnen konnte – so schwach war das Signal. Radio Monique hingegen verschwand für immer.

1988

Im Februar verbesserte sich der Empfang, nachdem man nun ein vorläufiges und schon wesentlich stabileres Antennensystem aufgestellt hatte. So hörte ich in Münster-Hiltrup Peter Philips und lernte den Wert meiner Rahmenantenne erst richtig zu schätzen, denn im Auto empfing man nicht viel mehr als ein Rauschen. Nach und nach nahm die Sendeleistung wieder zu, und im Frühjahr und Sommer wurden die Sendungen mehrfach stunden- oder auch tagelang unterbrochen, um die Antennenarbeiten auf hoher See zu ermöglichen, die meist von freiwilligen Helfern und Diskjockeys an Bord durchgeführt wurden.

Meine Facharztausbildung ging nun dem Ende entgegen und erforderte eine mündliche Prüfung bei der Ärztekammer. Wie in früheren Studienzeiten brütete ich nun wieder stundenlang über Fachbüchern. Zu Anfang April zog ich mich von Frau und Kindern für eine Woche zur „Klausur“ in mein Elternhaus in Millingen zurück, um die Lernintensität dort noch zu erhöhen. Auf dem Dachboden installierte ich meine Geräte einschließlich der Rahmenantenne, um eventuelle elektrisch bedingte Störgeräusche aus der Zahnarztpraxis meines Vaters, der angrenzenden Bundesbahnstrecke und auch verschiedener Haushaltsgeräte zu minimieren. Und so gelangen mir trotz der noch sehr begrenzten Sendeleistung auf „558“ recht gute Aufnahmen etwa der Shows von Chris Kennedy und Peter Philips. In diese Zeit fielen auch die ersten Kurzwellen-Tests auf 6215 kHz. Caroline 558 war jetzt wochenlang und zumindest tagsüber auch mit recht gutem Signal parallel im 49-Meter-Band zu empfangen, das künftig für die religiösen Sendungen des neuen Geldgebers „World Mission Radio“ dienen sollte. Noch war nicht zu ahnen, dass diese Entscheidung Radio Caroline im kommenden Jahr fast den Hals brechen sollte. Jedenfalls weckten die Kurzwellensendungen bei mir manche Erinnerungen an RNI.

Ende Mai nahm ich erneut an der Psychotherapiewoche auf Langeoog teil und hörte hier die Tests mit einer aus Amerika eingeführten Glasfiberstabantenne. Mit ihr sollte das neue niederländische „Radio 819“ ausgestrahlt werden, dessen erste Sendungen mit Erwin van der Bliek und Ad Roberts von der Konzeption her gut strukturiert und auch flott gemacht klangen. Der Sender war dann aber doch nur zwei Tage „on the air“, da die neue Antenne im wahrsten Sinne des Wortes „floppte“.

Kurz danach entschloss man sich deshalb – history repeats itself -, die Caroline-558-Sendungen rund um die Uhr tagsüber erst einmal durch das holländische „Radio 558“ zu ersetzen, hinter dem dieselben Geldgeber wie bei „Radio 819“ standen. Rasch wurden ähnlich klingende Jingles produziert, die sich recht modern anhörten und Radio Monique bald vergessen ließen. Das Ziel blieb die baldige Fertigstellung des Antennensystems mit Wiederaufnahme der Parallelabstrahlung auf 558 und 819 kHz.

Im August hörte ich während unseres Dänemark-Urlaubs in Vester Husby gern Michael Grant (Dave Richards), der abends meist als erster bei Caroline 558 begann. [ ] Auch Nigel Harris (Stuart Russel), Judie Murphy und Ian Mack machten professionelle Shows. Walter Simons gefiel mir auf Radio 558. [ ]

Im Herbst wurde dann das neue Antennensystem fertig, und aus Radio 558 wurde wieder Radio 819. Der Empfang verbesserte sich aber nicht wesentlich, da die Frequenz vor allem im Winter wenig geeignet schien. So blieben die Hörerzahlen konstant niedrig, und statt der ein Millionenpublikum ansprechenden Sender der sechziger und siebziger Jahre hatte man es nun doch mehr mit einem „Spartensender“ für Fans (Anoraks) zu tun. Rob Harrison gab sich mit dem separat zu Caroline 558 ausgestrahlten „819 – The Overnight Alternative“ zwar alle Mühe, aber ähnlich wie bei Tom Anderson waren meine Ohren bei seiner Musikauswahl meist auf Durchzug gestellt. Den Jahreswechsel verbrachten wir bei meiner Schwiegermutter in Meppen. Der Genuss der Live-Sendungen zu Silvester und Neujahr sowohl auf 558 als auch 819 kHz hielt sich hier trotz der Rahmenantenne sehr in Grenzen, da der Empfang eigentlich nur von etwa 9 bis 15 Uhr einigermaßen ungestört war…

1989

Ab Januar arbeitete ich als Assistent eines befreundeten ärztlichen Kollegen in dessen Praxis in der Stadt Meppen im Emsland, das an die niederländische Provinz Drenthe angrenzt. Mit ihm gründete ich dann im Juni eine nervenfachärztliche Gemeinschaftspraxis. Meine Familie zog daher zu Ende Februar von Münster nach Meppen.  Empfangstechnisch änderte sich für mich nicht allzu viel. In den kurzen Mittagspausen verglich ich den Empfang auf 819, 558 und 6215 kHz, versuchte die Rahmenantenne optimal aufzustellen und zu justieren und machte so manchen Mitschnitt.

In diesem Jahr legte ich mir gleich zwei neue Empfangsgeräte zu: Den vornehmlich für den Kurzwellenempfang geeigneten Grundig Satellit 500 (der Mittelwellenteil enttäuschte sehr) und ein russisches Gerät, den Euromatic 217. Er produzierte ein besonders gutes, sauberes Mittelwellensignal.

Ostersonntag saß ich mal wieder in meinem Elternhaus am Empfangsgerät, da Radio Caroline seinen 25. Geburtstag feierte. Entsprechend groß waren meine Erwartungen hinsichtlich einer ultimativen Jubiläumssendung. Steve Conway und Caroline Martin gaben sich zwar alle Mühe und konnten an diesem Tag beide Mittelwellenfrequenzen parallel benutzen. Dennoch blieben die Shows eigentümlich blass.

Den Sommerurlaub verbrachten wir wieder auf Ameland. Ich hatte natürlich die Rahmenantenne dabei, genoss die Sendungen mit Nigel Harris, Chris Kennedy, Dave Asher, Tony Kirk und Bruce Munroe und machte schöne Mitschnitte. Am Freitagabend, dem 18. August, las  Dave Richards die Nachrichten bei Caroline 558 und berichtete von einem britischen Boot in der Nähe („the DTI-vessel Landward“), dessen weitere Absichten unklar seien. Man habe „verhandelt“, sich aber nicht geeinigt. [ ] Ich war sofort alarmiert und ahnte Böses. Am nächsten Morgen (ich feierte meinen 34. Geburtstag) fuhren wir bei strahlendem Sommerwetter mit den Kindern zum Strand, und bei Caroline 558 bzw. Radio 819 schien – zumindest nach meiner „Diagnose“ im Autoradio – zunächst alles wieder in Ordnung. Er wurde im Tagesverlauf sehr heiß, und so pendelten wir zwischen unserem Liegeplatz am Strand und dem Wasser hin und her. Am frühen Nachmittag hörte ich dann aus dem Radio eines unserer Strandnachbarn die Nachrichten auf Hilversum 3. Als erste Meldung berichtete man vom Eingreifen der holländischen Behörden, die die Sender auf der Ross Revenge heute Mittag stillgelegt hätten. Ich war ziemlich schockiert, denn mit dieser Radikalität hatte ich nicht gerechnet. Mehrmals sprach ich mit Ulrike und den Kindern darüber. Der inzwischen 8jährige David spürte offensichtlich die Betroffenheit seines Vaters und schimpfte am Abend immer wieder, er finde die Aktion ungeheuerlich, und man müsse doch „die Polizei kommen lassen“, um Radio Caroline zu helfen. Ich sah dann die 19-Uhr-Nachrichten im niederländischen Fernsehen, die ebenfalls die Aktion auf der Ross Revenge als Hauptmeldung brachten. Daraufhin rief ich meinen Vater in Millingen an und bat ihn, die folgende 20-Uhr-Sendung mit dem VHS-Rekorder aufzunehmen. Wenigstens die atemberaubende Nachricht im Fernsehen wollte ich konservieren, hatte ich doch die dramatische Entwicklung leider nicht „live“ mitverfolgt. Als ich einige Wochen später meine Eltern besuchte, teilte mir dann mein Vater kleinlaut mit, die Aufnahme sei leider missglückt…

Zunächst musste man befürchten, dass die Sendungen von der Ross Revenge für immer verstummen würden. Dies galt tatsächlich für Radio 819 und World Mission Radio (die Kurzwellen-Sendungen auf einer Notruffrequenz waren letztlich der Aufhänger für das juristisch kaum begründbare Einschreiten der Behörden in internationalen Gewässern). Radio Caroline jedoch kehrte schon nach einigen Wochen zurück. Der legendäre Sendetechniker Peter Chicago (schon seit 1970 kontinuierlich bei RNI und Radio Caroline beteiligt und längst mein eigentlicher „Offshore-Radio-Held“) hatte in der Mittagspause der bei dem „Überfall“ am 19. August beteiligten Männer einige wichtige Sendeteile verstecken können, und so gelang ihm tatsächlich ein Neustart. Wohl wegen eines akuten Deejaymangels produzierte er selbst auch einige mittägliche Shows, die ich im Oktober in Meppen in recht guter Qualität empfing. Vor allem die Caroline-Supportgroup mit John Burch an der Spitze unterstützte Caroline nach Kräften und hatte auch wieder eine hinreichende Plattensammlung an Bord gebracht. Mein Bruder Christian machte zum Jahreswechsel mal wieder Ferien in Südholland an der Nordsee. Wie schon vor drei Jahren konnte ich ihn überreden, für mich eine Cassette nach der anderen aufzunehmen – und diesmal sogar meine Rahmenantenne mitzunehmen, ein mittelschweres logistisches Problem, das ich von meinen eigenen Urlaubsfahrten ja nur zu genau kannte. Aber es lohnte sich: Aus dem auch in den Niederlanden recht schwachen Caroline-Signal wurde fast ein Ortssender, und auf Christians damalige Mitschnitte (man hört Dave Asher, seine Freundin Caroline Martin sowie Nigel Harris und Neil Gates) bin ich noch heute stolz. [ ]

1990

Mehr und mehr stellte sich heraus, dass die Aktion der holländischen und englischen Behörden im August 1989 den Nerv des Senders getroffen hatte. Der Schaden schien technisch reparierbar, war aber finanziell letztlich nicht mehr auszugleichen. Die holländischen Geldgeber fehlten an allen Ecken und Kanten, so dass die „off the air“-Phasen immer länger wurden und der Sender auf 558 kHz von der Leistung her schwach blieb.

In der Osterzeit machten wir zwei Wochen Urlaub auf der dänischen Nordseeinsel Rømø, und hier war dann mit Hilfe meiner Empfangsanlage noch mal ein erfreulich klares Signal zu hören. Manch neuen Diskjockeys wie Chris Frisco und Rico fehlte aber die Professionalität ungezählter Vorgänger, an die ich wehmütig zurückdachte. Der Empfang war durch das neuerdings auf derselben Frequenz sendende Spectrum Radio wesentlich beeinträchtigt [ ]. Man spürte offensichtlich das langsame Sterben einer Rundfunkära.

Im Oktober versuchte Caroline nochmals einen Neuanfang als „Caroline 819“ (besonders die Breakfastshow mit Rico war in Meppen sauber zu empfangen und auch gut anzuhören), aber im November verstummt der Sender auf der Ross Revenge dann endgültig. [ ]

1993

Der schreckliche Krieg auf dem Balkan führte zu einem beispielgebenden, von der europäischen Union unterstützten Friedensprojekt. „Radio Brod“ auf dem vor der adriatischen Küste verankerten Sendeschiff Droit de Parole vereinte zahlreiche Journalisten aus den unterschiedlichen ethischen Regionen Ex-Jugoslawiens und richtete sich mit seinen Sendungen an die Menschen in der Kriegsgegend. Natürlich las ich davon und wollte unbedingt selbst auch den Empfang versuchen, der mir dann nachts gelang. Im Zeitraum von Mai bis September programmierte ich zu Hause in Meppen mehrfach eine Zeitschaltuhr, mit der ich den Kassettenrekorder steuerte, der dann mitten in der Nacht nach 2:00 Uhr (d.h. wenn die Radio Brods Mittelwellenfrequenz vergleichsweise unbelegt war und gleichzeitig Reichweitenempfang möglich wurde) eine entsprechende Aufnahme machte, bei die Rahmenantenne für die nötige Verstärkung des Signals sorgte. Beim Abhören der Kassetten gelang es mir dann, das eine oder andere Jingle oder auch Wortfetzen aufzuschnappen, die die Station unzweifelhaft als „Radio Brod“ identifizierbar machten. Leider wurde nachts nur non-stop Musik mit psychedelischem oder progressivem Rock oder auch Funk und Jazz ausgestrahlt. [ ]

1997

Im Herbst 1997 verpasste ich um ein Haar den spannenden Besuch eines neuen Sendeschiffes. Im Magazin “Offshore Echo’s” hatte ich zuvor von der MV Piscator gelesen, die seit einigen Monaten im Hafen von Larnaca auf Zypern ausgerüstet würde und deren Bestimmung noch unklar wäre. Vermutlich sollte das Schiff zur israelischen Küste fahren und dort seine Sendungen aufnehmen. Es passte daher gut, dass Ulrike und ich Ende Oktober zu einer Studienreise nach Zypern flogen. Etwa eine Woche später erreichte unser Bus schließlich auch Larnaca, wo wir bei wunderschönem Spätsommerwetter mittags an der Küste einen Zwischenstopp machten, nur wenige Kilometer Luftlinie vom Hafen entfernt. Und was sah ich in der Ferne? Eindeutig einen Sendemast, vermutlich auf einem Schiff im Hafen montiert! Aufgeregt zoomte ich das Ding mit meiner Videokamera heran und ahnte eine mögliche Sensation. In dem Moment als ich unseren Busfahrer überreden wollte, vielleicht doch noch einen kleinen Abstecher zum Hafen zu machen, wurde ich plötzlich dringend um Hilfe gebeten. Ein älterer Herr aus unserer Reisegruppe hatte sich verletzt und blutete aus mehreren Schnittwunden. Ich musste ihm natürlich erste Hilfe leisten und ihn anschließend zu einem chirurgischen Kollegen begleiten. Aus der Traum also von der Exklusivstory im Internet (von dem Schiff hat man anschließend übrigens nie wieder etwas gehört).

1999

Offshore ’98 hieß ein Wochenend-Seesenderprojekt mehrerer deutscher Free-Radio-Freaks, dessen Realisierung eigentlich schon für 1998 geplant war. Man hatte zahlreiche modern klingende Jingles produziert und auch einige Sendestunden vorab auf der damals im IJsselmeer verankerten MV Communicator aufgenommen. Mit der MV Aurora fuhr man zu Karfreitag 1999 in internationale Gewässer vor der holländischen Küste und begann einige Stunden später auf Kurzwelle, Langwelle und Mittelwelle mit den von vornherein auf Ostern begrenzten Sendungen, die jeweils nur eine sehr geringe Leistung hatten und bei realistischer Betrachtung nur im Küstenbereich zu hören sein würden. Ich hatte mit Freddie Schorsch, Jan Sundermann, Frank Leonhardt und Helmut Slawik zwar mehrfach über das Projekt gesprochen und war auch als “Internet-Webmaster“ eingeplant, der für die nötige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit sorgen sollte mit gleichzeitiger „Irreführung der Behörden“. Sicherheitshalber hatte man aber auch mir den genauen Sendetermin nicht bekannt gegeben. Doch ich ahnte schon, dass Ostern ein geeignetes Datum sein würde. Zu dieser Zeit machten wir wieder einmal Familienurlaub in Vester Husby an der dänischen Nordseeküste. Meine Radiogeräte, den Kassettenrekorder und die Rahmenantenne hatte ich diesmal zu Hause gelassen. So blieb mir am Ostersonntag nur das Autoradio, um einmal zu testen, ob die Jungs ihr Vorhaben verwirklichten. Und tatsächlich: Ich empfing mehr schlecht als recht „ Offshore ’98“ in Dänemark auf 1566 kHz und konnte zumindest Frank Leonhardts Stimme eindeutig identifizieren. So wurde ich zu einem DXer dieser leider sehr kurzlebigen und wohl allerletzten europäischen Offshorestation. [ ]

Schon sei einigen Jahren hatte ich regen Email-Kontakt mit Mike Brand aus Israel, der die zahlreichen dortigen Seesender aufmerksam verfolgt hatte und dazu eine umfangreiche Übersicht für meine Webseite beigesteuert hatte. Die legendäre „Voice of Peace“ war von Abie Nathan schon 1993 im Mittelmeer versenkt worden – nach zwei Jahrzehnten mit fast kontinuierlicher Sendetätigkeit für den Frieden im Nahen Osten. Es verblieb noch das nun ebenfalls schon jahrelang auf der MV Hatzvi aktive „Arutz Sheva“, ein Propagandasender religiöser Siedler mit eher extremen politischen Zielen, also in meinen Augen alles andere als sympathisch. Dennoch war Arutz Sheva der letzte verbliebene aktive Seesender auf der ganzen Welt, und somit war er auch für mich sehr wohl interessant. Hinzu kam „Arutz 2000“ auf der King David, einem ehemaligen britischen Feuerschiff, bei dessen Ausrüstung Paul Rusling, Herbert Visser aus den Niederlanden und einige der schon erwähnten deutschen Offshore-98-Freaks mitgeholfen hatten. Der Sender war aber nur wenige Tage aktiv, und im Herbst rostete das Schiff schweigend vor sich hin. Zu Ende Oktober machten Ulrike und ich mit einem befreundeten Ehepaar eine Studienreise nach Israel. Was lag also näher, sich mit Mike zu treffen und einen Trip zu den beiden verbliebenen Schiffen vor der Küste Tel Avivs zu machen? Ich hatte mir eigens einen neuen Empfänger zugelegt, einen Sangean mit integriertem Kassettenteil. So machte ich in Tel Aviv im  Crowne Plaza Hotel Aufnahmen vom UKW-Signal an Bord des Arutz-Sheva-Sendeschiffes Hatzvi (Insider munkelten aber auch, zumindest der UKW-Sender stehe irgendwo an Land). [ ] Während unserer Tour durch Israel testete ich immer wieder das Signal auf beiden Arutz-Sheva-Mittelfrequenzen mit ihren unterschiedlichen Programmen. Ich machte die bekannte Erfahrung, dass der Empfang küstennah (beispielsweise in Haifa) in der Regel unproblematisch war, aber etwas weiter landeinwärts (also etwa am See Genezareth oder in Jerusalem) durch den sandhaltigen Boden doch sehr zu wünschen übrig ließ.

Schon vor der Abreise hatte ich mich mit Mike verabredet und fuhr also am 9. November vormittags allein mit dem Bus von Jerusalem nach Tel Aviv. Mike holte mich am Busbahnhof ab und fuhr in halsbrecherischer Weise durch den Verkehr zum Yachthafen. Er erwies sich als nett und unkompliziert, stammte ursprünglich aus England, so dass die Verständigung mit ihm völlig unproblematisch war. Mit etwas Nachfragen fanden wir einen Skipper, der für eine beträchtliche Dollarsumme bereit war, uns „Journalisten“ zu den Radioschiffen zu bringen.  Er erzählte von hunderten Fahrten zur Voice of Peace,  kannte Deejay-Größen wie Crispian St. John und Kenny Page. Bei der King David, einer alten Rostbeule, war nur ein scheues Besatzungsmitglied zu entdecken. Und auch bei Arutz Sheva stand gar nicht erst zur Diskussion, uns etwa an Bord zu lassen. Man fragte aber höflich nach, ob wir nicht ein Besatzungsmitglied mit an Land nehmen könnten. So blieb wirklich genug Zeit für viele Fotos und Videoaufnahmen, und wir betrachteten unseren Ausflug bei fast sommerlichen Temperaturen hinterher als rundum gelungen. Mike und ich tauschten dann in einem Restaurant viele Seesendererinnerungen aus und fuhren anschließend noch zu einer lokalen Rundfunkstation.

Vor unserem Rückflug nach Deutschland wurden wir paarweise von den israelischen Sicherheitsbehörden einer zumindest für mich hochnotpeinlichen Befragung bezügliche unserer Reise unterzogen. Die Frage „Hatten Sie während Ihres Aufenthalts Kontakt mit israelischen Bürgern?“ beantwortete ich zum Entsetzen von Ulrike (sie sah mich wohl schon im Gefängnis) mit einem dezidierten „Nein!“, stellte ich mir doch vor, welch unangenehme Fragen noch auf mich zugekommen wären, hätte ich etwas von einem „Ausflug“ zum nach offizieller Lesart illegalen Seesender Arutz Sheva erzählt. Man gab sich mit meiner Antwort zufrieden, und wir saßen kurz darauf entspannt im Flugzeug und sahen unter uns die beiden Sendeschiffe friedlich im Mittelmeer liegen.

Fortsetzung