Teil 2: 1975 – 1980

1975

Das neue Jahr verlief „rundfunkmäßig“ etwas weniger aufregend. Radio Caroline hatte durch das Inkrafttreten des niederländischen Gesetzes und die Rückkehr zur englischen Küste einen erheblichen Aderlass an bekannten Diskjockeys erlitten. So war oft nur eine kleine Mannschaft an Bord, die seltener ersetzt wurde. Die Versorgung des Schiffes war nun deutlich  komplizierter geworden, was sich leider auch an der Qualität der Sendungen zeigte, die weiterhin live an Bord produziert wurden. Radio Mi Amigo setzten vor allem die belgischen Behörden sehr zu, so dass sich Sylvain Tack mit einigen Diskjockeys zur „Flucht“ nach Playa de Aro in Spanien entschloss. Dies führte zu einer Verbesserung der Mi-Amigo-Programme, die nun einheitlicher klangen und von Peter van Dam, Bert Bennett, Joop Verhoof und Stan Haag recht professionell produziert wurden. Dennoch waren die Musik und vor allem die Werbung oft schwer erträglich für die Ohren junger Hörer, die nicht aus Flandern oder den Niederlanden stammten. 

Während meiner Zivildiensttätigkeit hatte ich mich zu Anfang des Jahres in eine Krankenschwester verliebt. So habe ich dann im Frühjahr mit meiner neuen Freundin Ulrike (mit ihr bin ich inzwischen 44 Jahre verheiratet!) einen einwöchigen Urlaub in der Provinz Zeeland an der südholländischen Küste sowie in Flandern (Brügge, Gent, Antwerpen) verbracht. So fuhren wir mit dem Auto die belgische Küste entlang und hörten auf der  Fahrt sowie auf den Campingplätzen immer wieder Radio Mi Amigo bzw. abends Radio Caroline. Das Signal kam hier an der Küste natürlich fast wie ein Ortssender herein.  Ulrike fiel mir schon damals durch ihre offenbar große Toleranz angenehm auf, lauschte sie doch geduldig und nicht ohne Verständnis meinen begeisterten Erzählungen von den Abenteuern und Skurrilitäten der Seesender und vor allem mancher Deejays. Sie zeigte sich allenfalls etwas irritiert über meine schier ungebremstes Interesse an den Offshore-Stationen, die sich auch durch fremdartig anhörende Werbung etwa für „Suzy Wafels“, „Joepie“, „Juwelier Zwitserland“, „Autobanden de Sprint“ oder „Miss Sheila – daar wordt je de mooiste bruid“ nicht schmälern ließ. Ulrike war somit der erste Mensch in meiner Umgebung, den ich so richtig in die „Geheimnisse“ meines Hobbys einweihte und dem ich auch stundenlanges Mithören (vergleichbar vielleicht mit Passivrauchen?) zumutete.

Mein inzwischen gerade 18 Jahre alt gewordener Bruder Thomas wollte in diesen Sommerferien mit einem Freund eine Interrail-Reise kreuz und quer durch Europa machen. Dabei stand auch „Spanien“ auf ihrer Liste. Ich konnte ihn nach einigen Überredungsversuchen davon überzeugen, dass Playa de Aro an der Costa Brava ein besonders sehenswerter Ort war, der einen Besuch auch deshalb lohnte, weil man dort die quasi „im Exil“ lebenden Mi-Amigo-Diskjockeys „in action“ beobachten konnte… Und tatsächlich sind die beiden dann auch in den damals noch auf dem Berg Mas Nou gelegenen Studios gelandet. Thomas hat dort schöne Dias gemacht, die ich schon vor vielen Jahren auf meiner Internetseite veröffentlicht habe. Auch wenn er selbst nur mäßig am Thema Seesender interessiert war und ist, hat er mir doch niemals Vorhaltungen gemacht, dass ich ihn zu diesem Trip „angestiftet“ habe. Spätestens nach dieser Reise hatte ich ihm auch vollkommen verziehen, dass er vier Jahre zuvor meine Radio-Nordsee-UKW-Aufnahme gelöscht hatte…

1976

Im April begann ich ein Medizinstudium an der Münsteraner Universität. Ich hatte in den kommenden Jahren durchweg sehr viel zu lernen und saß daher oft  wochenlang am Schreibtisch. Immer wieder unterbrach ich die Lernerei, indem ich kurz zum Radiogerät oder meinem (inzwischen von meinen Eltern übernommenem) Tuner lief, um zu kontrollieren, ob Mi Amigo bzw. Caroline noch auf Sendung waren. An den Wochenenden besuchte ich oft meine Eltern am Niederrhein und verband dies natürlich mit zahlreichen Empfangsversuchen im Auto und im Wohnzimmer des Elternhauses. Dort warteten dann auch die neuesten Free-Radio-Hefte auf mich. Die zahlreichen Publikationen, die ich inzwischen abonniert hatte, waren mir so wertvoll, dass ich mich zunächst nicht traute, sie nach Münster umzubestellen. Denn dort wären sie möglicher Weise im Hausflur des Studentenwohnheims verloren gegangen, wenn der Postbote sich im Kasten geirrt hätte…

Zu Ostern war ich im Elternhaus meiner Freundin in Meppen (Emsland) zu Gast. Auf meiner Fahrt dorthin hörte ich natürlich wie üblich Radio Mi Amigo. Eine schöne Neuerung waren die holländischen Livesendungen mit Tim Ridder (zunächst wusste ich noch nicht, dass es sich um Bart van Leeuwen von Radio Veronica handelte,  wie er sich einige Wochen später dann auch nannte) und Jan van der Meer (Rob Hessing). Sogleich kam mehr Schwung in die Sendungen, da man nun doch mehr von der Atmosphäre an Bord erfuhr.

Am 1. April nannte sich Radio Mi Amigo einen Tag lang Radio Veronica, und man versuchte, den alten Veronica-Sound mit entsprechenden Jingles und den ohnehin ja von Veronica abstammenden Bart van Leeuwen und Stan Haag wiederzubeleben. Gut dass es sich nur um einen Aprilscherz handelte. Mi Amigo war mir inzwischen mehr ans Herz gewachsen.

Im Mai begann Radio Caroline tagsüber auf „192“, der alten Veronica-Frequenz. Es handelte sich um ein separates englischsprachiges Programm, das wegen der niedrigen Sendeleistung zwar wesentlich schlechter als Radio Mi Amigo zu empfangen war, von mir aber auch in Münster vor allem im Auto doch regelmäßig gehört wurde. 

Im Juni fielen mir die etwas peinlich wirkenden Lobpreisungen der neuen LP der Loving-Awareness-Band auf, die gar als „The New Beatles“ angekündigt wurde. Dabei schien doch eigentlich nur Ronan O’Rahilly eine Vorstellung davon zu haben, was denn nun „LA“ zu bedeuten hatte und warum diese Band nun so bahnbrechend sein sollte. Irgendwie erinnerte es an seinen „Gold“-Film vor vier Jahren, der ein völliger Flop wurde.

In den vergangenen Jahren hatte die Musikkassette ihren Siegeszug angetreten Sie löste weltweit immer mehr die alten Tonbänder ab, da sie wesentlich kleiner und handlicher war und daher auch im Auto abgespielt werden konnte. Ich kaufte mir in diesem Jahr sowohl ein modernes Tapedeck als auch ein neues Tonbandgerät von Akai. In den folgenden  Jahren ging ich somit doppelgleisig vor, machte also sowohl Kassetten- als auch weiterhin (hochwertigere) Tonbandaufnahmen. Ich probierte alle möglichen Handelsmarken aus, benutzte sowohl Billigware als auch teure Markenkassetten und –bänder. In den kommenden Jahrzehnten leistete ich mir nach und nach mehrere neue Kassettenrekorder und ärgerte mich fortlaufend über leiernde Bänder, verschmutzte Tonköpfe und den von Jahr zu Jahr dumpfer werdenden Klang. Für mehr als zwei Jahrzehnte hörte ich im Auto nun nicht mehr nur „live“, sondern auch vorher von mir aufgenommene oder meist in den Niederlanden oder Großbritannien bestellte Kassetten mit Aufnahmen der Seesender.

Zu Ende Juli stand ein weiterer Campingurlaub in Skandinavien an. Die ersten Tage waren für mich durch eine Grippe beeinträchtigt, so dass Ulrike und ich eher  notgedrungen zunächst zwei Tage auf einem Campingplatz in Nordstrand an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste verbrachten.  Ich erinnere noch gut, wie wir mittags Pommes frites und Aal im Auto verspeist haben und dazu eine der allerersten „Baken 16“-Livesendungen auf Radio Mi Amigo hörten, die von Bart van Leeuwen und Marc Jacobs präsentiert wurden.

Im September bin ich mit meiner Mutter für eine Woche in der damaligen DDR gewesen – ohne Radio. Während dieser Zeit geriet die MV Mi Amigo in Seenot: Man driftete auf eine Sandbank, und das Mi-Amigo-Studio lief voll Wasser. Die Notizen meines Bruders Thomas zeugen von seinen damaligen Sorgen um das Radioschiff. Als ich dann am 16. September zurückkehrte, nahm Radio Mi Amigo seinen Sendebetrieb wieder auf, und am nächsten Mittag hörte ich Marc Jacobs’ Schilderung der dramatischen Ereignisse in “Baken 16”. Damit war eine Boje in der Nähe der MV Mi Amigo gemeint. Die Show war längst zu meiner Lieblingssendung geworden. Drei Jahre lang begeisterte ich mich mittags vor allem über Marc Jacobs, dessen Präsentationsstil von seiner unbändigen Energie, intelligenten Ideen und spontanem Witz lebte. Er erzählte ständig von Neuigkeiten an Bord und band seine Kollegen in die Sendung ein, selbst Maschinisten,  Techniker und Köche wie Otto, Luc Watermans und Kees Borrel. Wenn Marc an Bord war (und das erstreckte sich bei ihm oft über Monate), war für gute Laune und Unterhaltung gesorgt. Er sang mit Frank van der Mast das „Mi-Amigo-Strijdlied“, erzählte von heftigen Stürmen, Löchern im Schiffsbug und persiflierte die „Wespenplage“ auf dem Schiff. [ ]

1977

Pfingsten verbrachten wir mit mehreren Freunden auf der ostfriesischen Nordseeinsel Norderney. Dort kamen Caroline und Mi Amigo (beide hatten inzwischen die Frequenzen gewechselt) superstark herein. Bei herrlichem Sonnenschein fuhr ich mit meinem VW-Käfer über die Insel und hörte James Ross und Mark Lawrence auf „Caroline on 319“ (953 kHz).

Ich hatte zu dieser Zeit von Kurzwellensendungen gehört, die Robin Banks abends und nachts von der inzwischen nach Libyen verlegten Mebo II sendete. Und tatsächlich empfing ich dann seine Testansagen – umrahmt von der der geliebten RNI-Erkennungsmelodie  „Man of action “- in brauchbarer Qualität mehrmals in Münster. [ ] Ein komisches Gefühl: Der ehemalige Seesender gehörte nun Ghaddafi, wurde für religiös gefärbte Propaganda benutzt, sendete aber stundenweise vertraute Musik mit Ansagen eines alten Offshore-Veteranen…

Im Hochsommer zelteten Ulrike und ich an der französischen Atlantikküste. Auf der  Rückfahrt zu Anfang August machten wir auf einem Campingplatz unweit von  Paris halt. Dort hörte ich zum ersten Mal Radio Mi Amigo auf der neuen Frequenz 1412 kHz (212 m). Auch zu Hause in Deutschland schien der Empfang nun deutlich besser als zuvor auf 1562 kHz – trotz der auf der Nachbarfrequenz 1421 kHz beheimateten Europawelle Saar. 

Am 14. August hörte ich die schöne Caroline-Mi-Amigo-Erinnerungssendung an den Closedown der englischen Seesender mit Stuart Russel (Nigel Harris) und Marc Jacobs). Man tat so, als ob man “live” nach Heathrow schaltete zum dortigen Nostalgie-Treffen “Flashback ’67” im Hilton Hotel. In Wirklichkeit hatte Robbie Dale die Interviews schon am Vorabend aufgezeichnet. Leider war der Empfang nach etwa einer Stunde bei einsetzender Dunkelheit sowohl auf 962 als auch 1412 kHz doch sehr gestört. Drei Tage später war dann im holländischen Fernsehen die von Radio Veronica produzierte Dokumentation „The Day The Music Died“ zu sehen, eine  faszinierende Mischung aus Offshore-Videobildern, Musik und Interviews. Ein Videorekorder war weit und breit noch nicht in Sicht, und so schnitt ich in meinem Elternhaus zumindest den Ton mit. Mit seinem Gesicht unerkennbar im dunklen Schatten wies Frank van der Mast in der Sendung auf Radio Mi Amigos Frequenzwechsel hin – ein Auftritt eines echten „Piraten“ im Fernsehen, der meine Fantasien anregte. Fotos hatte man von den  Bord-Deejays noch nie zu sehen bekommen, da sie durch die Behörden dann womöglich noch schneller zu identifizieren gewesen wären.

In der Vorweihnachtszeit fanden die 24stündigen Caroline-Sendungen dann leider nach anderthalb Jahren ein Ende. Man war schon vor Monaten auf 963 kHz gewechselt, und diese Frequenz erwies sich als so günstig, dass sie künftig tagsüber von Radio Mi Amigo und nachts von Radio Caroline benutzt wurde. Ich hörte Mi Amigos Beginn auf „319“ mit Herman de Graaff und war doch recht enttäuscht über den „Verlust“. Andererseits hatten sich meine Holländischkenntnisse inzwischen noch weiter verbessert, und die Live-Sendungen von Radio Mi Amigo waren längst so etabliert, dass es mir auch Freude machte, etwa Hugo Meulenhof, Rob Hudson oder Johan Visser zuzuhören.

1978

Inzwischen las ich immer häufiger, dass die Seetüchtigkeit der MV Mi Amigo deutlich gelitten  hatte und immer häufiger größere Mengen Beton zum Stopfen verschiedener Lecks im Schiffsrumpf benötigt wurden. Schon seit Monaten vermisste ich Marc Jacobs, der das Schiff scheinbar aus  Protest wegen der schlechten Versorgungslage gemeinsam mit mehreren Kollegen verlassen hatte, jetzt im Frühjahr aber doch wieder zurückkam. Im August hörten Ulrike und ich im Auto Radio Mi Amigo, als wir auf dem Rückweg von einer erneuten Skandinavienreise in Trelleborg  (Südschweden) auf die Fähre nach Travemünde warteten. Marc Jacobs war zu alter Form zurückgekehrt, und auch in Playa de Aro (Ton Schipper hatte schon vor Monaten Stan Haag ersetzt) schien nach einigem Ärger wieder Ruhe eingekehrt. 

Zu Hause bei meinen Eltern am Niederrhein empfing ich im Sommer mit beträchtlichem Aufwand Radio Delmare, einen neuen, eher amateurhaft wirkenden Seesender von der MV Aegir vor der holländischen Küste. Man sendete auf 1562 kHz, und das  Signal konnte ich in Deutschland nur mit Hilfe zusätzlicher Erdungs- und Antennendrähte bzw. noch am besten im Auto empfangen. Tatsächlich gelangen mir mehrere Stunden brauchbarer Tonbandmitschnitte, auf denen man die Stimmen von René de Leeuw und Astrid Jager identifizieren kann und die schöne Erkennungsmelodie „The eve of the war“ von Jeff Wayne hört. Radio Delmares Abenteuer war nach einigen Wochen zunächst schon wieder beendet, als die Ankerkette riss, das Schiff in Seenot geriet und man in nationale Gewässer geriet.

Auch Radio Mi Amigo kam durch Generator- und andere Probleme im Oktober zu einem abrupten Ende, das ich aber wegen meines Studiums nicht live mitverfolgen konnte. Es folgte ein halbes Jahr ohne Seesender, und man dachte nun doch, das Ende einer Ära sei gekommen.

1979

Doch nichts dergleichen: Nachdem monatelang verschiedene Gerüchte kursierten, verschiedene Delmare-Schiffe beschlagnahmt worden waren, „Radio Hollandia“ doch nicht wie gemunkelt die Nachfolge von Radio Mi Amigo angetreten hatte und schließlich die Besatzung auf der  Mi Amigo aus höchster Seenot evakuiert werden musste, stand Radio Caroline auf wie Phoenix aus der Asche. Am Ostersonntag traute ich meinen Ohren nicht, als ich morgens (nachdem ich wie hoffnungsvoll die Mittelwellenskala abgesucht hatte) Tony Allan hörte, der den Hörern versehentlich ein „vroolijk kerstfeest“ wünschte. [ ] Man sendete künftig tagsüber ein niederländisches Carolineprogramm, das recht flott und straff präsentiert wurde. Vor allem Paul de Wit (Erik de Zwart), Rob Hudson und Ad Roberts gaben sich alle Mühe, Radio Mi Amigo vergessen zu machen. Nachdem im Frühjahr auch noch Marc Jacobs mit „Baken 16“ zurückkehrte, schien alles wieder im Lot und die Zukunft gar nicht so unsicher wie befürchtet. Abends lief in gewohnter Weise das englische Programm mit LP-Musik.

Inzwischen benutzte ich bei Besuchen im Elternhaus meist den “Nordmende Tansita Spezial” meines Vaters und ließ meinen altgedienten Touring International in Münster.

Am Pfingstwochenende zelteten wir auf der westfriesischen Nordseeinsel Ameland (Camping Duinoord). Schon als wir im Auto auf dem Festland auf die Fähre warteten, war ich begeistert über den im Vergleich zu Münster doch wesentlich besseren Empfang. Auf der Insel kam Radio Caroline wie ein Ortssender herein, und daher war so manches Radiogerät auch anderer Touristen auf dem Campingplatz auf „319“ eingestellt.

Im Juni heirateten Ulrike und ich. Wenige Wochen später besuchten wir auf unserer Hochzeitsreise die in der Südbretagne gelegene Insel Belle-Île en mer, wo ich  mittags im Auto Radio Caroline mit Paul de Wit zumindest identifizieren konnte. Es war immer ganz beruhigend zu wissen, dass man noch weiter sendete… Zu diesem Zeitpunkt wurde es plötzlich immer munterer auf der Nordsee. Radio Delmare kam für wenige Monate mit der MV Martina zurück, und ich begann erneut meine Empfangsversuche in Millingen, denn das Signal war keineswegs besser. Ziemlich kurios wurde es dann ab Mitte August, als der Techniker Johan Rood wochenlang allein auf dem Schiff saß und Kapitän, Matrose, Sendetechniker und Diskjockey in Personalunion war. Sein Signal war zumindest auch am Niederrhein so gut zu empfangen, dass ich verstand was los war und ihm fasziniert zuhörte. [ ]  

Auch Radio Mi Amigo kam zurück. Die MV Magdalena war aber eine alte Rostbeule, die deutlich seeuntüchtiger war als die MV Mi Amigo. Trotz der Anwesenheit von Ferry Eden gelang es den Diskjockeys an Bord nicht, die alte Mi-Amigo-Atmosphäre wieder herzustellen. Die neuen Jingles klangen langweilig und die Shows wenig ansprechend. Insofern war ich nicht so traurig, als dieser Seesender ebenfalls im Spätsommer wieder die Segel strich. Immerhin hatte ich aber in Münster durchweg ein recht gutes Signal empfangen und so manche Tonbandaufnahme gemacht.

1980

Spätestens im Winter hatte ich das untrügliche Gefühl, dass es mit der mal wieder allein übrig gebliebenen MV Mi Amigo  doch weiter bergab (oder besser: in die Tiefe des Meeres) gehen würde. Die Sendungen hörten sich zunehmend amateurhaft an, und die bekannteren Diskjockeys hatten bis auf Ad Roberts das bald sinkende Schiff längst verlassen. Als Ulrike und ich im Februar einige Tage auf Norderney verbrachten, hörten wir Shows von Hugo de Groot und Peter de Vries, die mir eher Wehmut bereiteten und frühere Zeiten herbeisehnen ließen. Auch die zahlreichen belgischen Werbespots von Sebastiaan Peters erhöhten den Hörgenuss keineswegs. 

Nur das englische Programm schien weiter trotzig-unbeirrt und klang „alternativ“ wie eh und je in den vergangenen Jahren. Aus den Jahren 1976 bis 1980 sind mir besonders Stevie Gordon [ ], Mike Stevens, Mark Lawrence, Ed Foster, Tom Anderson, Stuart Russel, Roger Matthews, Kenny Page, James Ross, Richard ‘Buzby’ Thompson und Tom Hardy in bleibender Erinnerung mit ihrer tollen Musik und dem relaxten Präsentationsstil. Sie schafften mit wenig Aufwand im Studio und viel eigenem Talent ein unverwechselbares Beispiel dafür, wie modernes Musikradio für jüngere Hörer klingen musste (aber in Europa kaum je realisiert wurde).

Es kam dann wie es kommen musste: Bekanntermaßen sank die MV Mi Amigo bei stürmischer See im März 1980, und die verbliebene kleine Crew musste in einer dramatischen nächtlichen Rettungsaktion von Bord geholt werden. Ich bekam davon nichts mit, sah auch nicht die Videobilder in der ARD-Tagesschau, sondern erfuhr vom Ende des Sendeschiffes – wie vor den Kopf gestoßen – erst durch eine lapidare kleine Meldung in der Tageszeitung. Meine Gefühle waren damals zwiespältig. Trauer mischte sich mit einer gewissen Erleichterung, dass ich nun davon „befreit“ schien, ständig zu überprüfen, ob man noch „on the air“ war, die Signalstärke einzuschätzen und je nach Befund Bandaufnahmen zu machen… Kurze Zeit danach erhielt ich Mitschnitte der letzten Sendestunden, die ich wieder und wieder anhörte, verbunden mit dem Einschätzung: Nun ist es wohl endgültig vorbei.

Schnell stellte sich heraus, dass ich doch nicht von meinem Hobby lassen konnte und wollte. Meine Sammlung an Tonbändern und Kassetten war inzwischen recht stattlich, und ich bekam immer mehr Zeitschriften und Bücher zum Thema „Free Radio“. Die Gerüchte verstummten nicht, dass Radio Caroline „größer und stärker als je zuvor“ kurz vor der Wiederauferstehung stand. Aber das öde Rauschen auf allen bekannten Seesenderfrequenzen blieb zunächst doch sehr konstant.

Fortsetzung