Ulf D. Posé über seine Rundfunkkarriere

Sie hatten einen irren Spaß daran

Ulf Posé (* 4. August 1947; † 5. April 2023) arbeitete zunächst als Hörfunk- und Fernsehmoderator und war später Buchautor, Trainer im Wirtschaftsbereich und Verbandsfunktionär. Von 2003 bis 2013 war er Präsident des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft e. V.
Am 13. September 2003 war Ulf Posé Hauptgast des 3. Erkrather Radiotags. Als “Pascal Posé” gehörte er zur Diskjockey-Crew des gescheiterten Seesender-Projekts “Radio Nordsee”, das Ende 1968 vom ehemaligen Radio-London-Sendeschiff Galaxy in der Deutschen Bucht starten sollte. 1970 arbeitete er dann unter dem Namen “Hannibal” tatsächlich bei der Offshore-Station RNI auf der Mebo II in internationalen Gewässern vor der niederländischen und englischen Küste. Bis 1980 war er anschließend als “Ullrich” dreieinhalb Jahre bei Radio Luxemburg und dann unter seinem eigenen Namen sieben Jahre beim WDR beschäftigt.
Auf dem Radiotag in Erkrath sprach Martin van der Ven mit ihm (die kursiv geschriebenen Teile entstammen einem anderen Gespräch mit Johannes Ruhr)

Martin: 1968, also vor 35 Jahren, stand in einem Zeitungsartikel eine etwas despektierliche Beschreibung: “Pascal Posé, 21 Jahre, kein Kind, zu faul zum Abitur, Schlagersänger und Teeny-Moderator. Unterhält sich drahtlos mit jungen Mädchen über Schmuck, Mode, Taschengeld, Schularbeiten, Abwaschen und sonstige mögliche Probleme.” Dieser Bericht handelte von dem deutschen Seesender-Projekt “Radio Nordsee”, das von einem Schiff in der Deutschen Bucht senden sollte. Wie kamst Du dazu?

Ulf: Ich arbeitete damals als Diskjockey “Pascal Posé” in Diskotheken und gehörte der DDO an, der Deutschen Diskjockey Organisation. Die Werbeagentur “Gloria International” aus St. Gallen in der Schweiz fragte durch den Besitzer Norbert A. Gschwend und den Geschäftsführer César W. Lüthy an, ob die DDO für dieses Seesenderprojekt die Diskjockeys zur Verfügung stellen könnte. Daraufhin hat der damalige DDO-Chef Klaus Quirini seine Mitglieder angeschrieben: Wer Lust hat da mitzumachen kann sich bewerben! Von den 600 – 800 organisierten Diskjockeys haben sich 100 – 150 beworben, und neben Klaus Quirini wurden nur fünf genommen. Und ich war einer von den fünfen.

Martin: Ein neues Projekt mit einem alten Sendeschiff?

Ulf: Es handelte sich um die MV Galaxy von Big L (Radio London), die von den beiden Schweizern gekauft worden war. Sie wollten das Schiff durch die Howaldt-Werft ausstatten lassen und dann von der Nordsee aus senden. Wir sind dann irgendwann im Jahre 1968 nach Hamburg eingeladen worden zur ersten Pressekonferenz. Zunächst sollten wir mit dem Zug hinfahren. Dann war aber das öffentliche Interesse so groß, dass Norbert Gschwend sagte: “Jetzt trefft Ihr euch alle in Düsseldorf, setzt euch in ein Flugzeug, fliegt nach Hamburg. Das sieht schöner aus, wenn man die Gangway runterkommt, und dann können die Journalisten die ersten Interviews führen.” In Hamburg erwarteten uns dann rund 150 – 200 Journalisten, und wir waren völlig unbedarft, hatten mit der Presse noch nie Kontakt gehabt. Rundfunksprecher waren wir ja in dem Sinne auch nicht, sondern Diskjockeys in Diskotheken… Nun wurden damals die Diskotheken anders durch den Diskjockey geführt als heute. Das waren sprechende Diskjockeys, die mehr Entertainment pflegten mit kleinen Gags. Wir kamen also dort an, und dann fiel die Presse über uns her.

Martin: Es handelte sich ja um ein altwürdiges Schiff des Seesenders, der in England wohl die meisten Hörer hatte. Ihr habt davon noch Spuren gefunden?

Ulf: Und wie! Die Senderanlage und die Studios waren vollkommen in Ordnung, sendefähig. Die Turntables waren ganz normal zu gebrauchen. Das Schiff war voller Tonbänder und Jingles – diese Jinglemaschinen mit den dazugehörigen Kassetten kennt Ihr ja alle. Das Schiff war randvoll mit Spuren der Big-L-Diskjockeys. Als deutsche Diskjockeys – nicht Piratensender-erfahren – haben wir überlegt: Was machen wir jetzt damit? Da sagte der Klaus Quirini: “Jetzt machen wir erstmal ‘klar Schiff’.” Wir haben dann sämtliche Bänder und Jingles gelöscht! Es ist aus heutiger Sicht nicht zu begreifen, aber wir brauchten Tonbänder und diese Jingle-Bänder, da wir unsere eigenen Aufnahmen herstellen mussten. Wir haben doch mit der Vorstellung dort gearbeitet: Wir werden demnächst senden. So haben wir dann unsere eigenen Jingles produziert, die aber niemals gesendet worden sind und dann auch auf dem Schiff verblieben sind, als wir nach 4-5 Wochen wieder abmustern mussten. Länger hat das damals nicht gedauert. Die staatliche Howaldt-Werft hat das Schiff eben nicht ausgestattet oder das Projekt zumindest sehr verschleppt. Durch die große Medien-Öffentlichkeit plante die Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt ja auch das Anti-Piratensendergesetz zu ratifizieren. Es hätte wahrscheinlich nicht sehr gut ausgesehen, wenn eine Gesellschaft des deutschen Staates einen Piratensender ausrüstet, der dann anschließend auf Grund der Ratifizierung des Gesetzes wieder verboten wird. Also haben die das hingezogen. Der Gschwend und der Lüthy kannten übrigens zwei Techniker aus Zürich – Edwin Bollier und Erwin Meister. Die beiden sollten den technischen Teil übernehmen, also die Sendeanlage. Beide waren auch mal in Hamburg, wir haben sie damals kennen gelernt. Nach 5-6 Wochen sagte uns dann aber Herr Lüthy mit traurigem Gesicht: “Das Projekt ist gestorben, macht’s gut, auf Wiedersehen, fahrt wieder nach Hause.” Und das haben wir dann auch gemacht.

Pascal Posé und Horst Reiner auf der MV Galaxy
Pascal Posé und Horst Reiner auf der MV Galaxy

Martin: Wäre das Projekt ohne diese riesige Medien-Attraktion vielleicht doch noch verwirklicht worden?

Ulf: Ich halte das aus heutiger Sicht für einen enormen strategischen Fehler. Aus der Retrospektive wäre es klug gewesen, wenn die beiden überhaupt nichts gesagt hätten. Es war ja auch viel zu früh um an Bord zu gehen. Das Schiff war ja überhaupt noch nicht fertig. Die Motorleistung war nicht da, es fehlte noch an einigen Ausstattungen. Nur Teile der Sendeanlage waren da – und die Studios, die waren perfekt. Auch die Kojen waren vorhanden. Aber der Rest war eben nicht in Ordnung. Ich hätte an Gschwends und Lüthys Stelle das Schiff ausstatten lassen, komplett von der Howaldt-Werft, das hätte kein Mensch bemerkt. Die hätten ja gar nicht gewusst, wofür das Schiff überhaupt vorgesehen war. Dann wäre ich mit dem Schiff rausgetuckert auf die Nordsee – und dann wäre ich mit den Diskjockeys dahin gefahren und wäre auf dem Weg dorthin in die erste Pressekonferenz gegangen. So wäre es wahrscheinlich tatsächlich zu einem Sender “Radio Nordsee” mit damals sechs deutschen Diskjockeys gekommen. In Wirklichkeit wurde aber eben nichts daraus…

Martin: Nun gab es dann ja ein zweites “Radio Nordsee”, das etwa ein Jahr später startete, zu Anfang 1970. Wie bist Du dahin gekommen?

Ulf: Ich bin zunächst wieder in die Diskotheken gegangen, aber nicht nach Mönchengladbach – da kam ich her -, sondern in verschiedene Diskotheken. Wir kriegten Riesenjobs, hatten ja auch ein bisschen Presse im Rücken, dadurch hatte man etwas mehr Reputation, wurde auch besser bezahlt, was ja nicht schlecht war. Ich ging dann in die Schweiz, nach Zürich, in die Diskothek “Playground”. In den Schweizer Diskotheken gab es im Unterschied zu Deutschland eine Besonderheit: Erstens wurde dort nicht getanzt, und zweitens wurden sie um 12 Uhr dicht gemacht. Nach Mitternacht fand in Zürich damals kein Nachtleben in dem Sinne statt, wie wir es kennen. Ich war ja in diesem Playground als “Piraten-Diskjockey” beschäftigt, und Edwin Bollier und Erwin Meister hatten einen Club, den “High-Life-Club” in Zürich, ein so genannter Privat-Club. Man wurde dort Mitglied, und in diesen Clubs konnte man ab 12 Uhr nachts tanzen, trinken und gute Musik hören. Die Diskjockeys in diesen Privat-Clubs moderierten nicht, sondern legten nur Schallplatten auf – so wie die Diskjockeys das heute auch tun. Die beiden riefen eines Tages im Playground an und fragten, on ich sie nicht einmal im High-Life-Club besuchen könne. “Wir haben was vor…” Da bin ich hingefahren, war damals ja 22 Jahre jung, wollte mir das anhören. An diesem Abend haben sie mir erzählt, dass sie einen Piratensender in der Nordsee aufstellen wollten und deshalb Diskjockeys suchten. Ob ich nicht Lust hätte, als Chef-Diskjockey mitzumachen? “Chef-Diskjockey” war schon gut, da hab ich gleich zugesagt. Vier Wochen später hörte ich im Playground auf und fing bei Bollier und Meister an. In “High-Life”, ihrem Privat-Club, habe ich dann jeden Tag – tagsüber, denn abends und nachts war der Club ja belegt – Bänder aufgenommen. Die Frequenz war denen schon klar, und sie brauchten diese Testsendungen. So habe ich zig Tonbänder jeden Tag da eingespielt für unseren Sender. Diese Bänder wurden später auch gesendet, um dann langsam das Projekt ins Laufen zu bringen. Sie liefen nach meiner Erinnerung über etwa 6 Wochen, und dann kam ich an Bord.

Martin: Ich erinnere mich sehr gut an die ersten Testsendungen. Auch dieses Projekt ist in den deutschen Medien durchaus gewürdigt worden. So stand in den Zeitungen, dass Radio Nordsee jetzt starten würde. Entsprechend hab ich auf der Kurzwelle gesucht und den Sender auch schnell gefunden. Am 23. Januar 1970 begannen die Testsendungen auf UKW und Kurzwelle, und am 11. Februar kam dann noch die Mittelwelle hinzu. Als ersten Diskjockey hab ich tatsächlich den “Hannibal” gehört, damals noch ziemlich marktschreierisch… Es gab noch andere Kolleg(inn)en, die auch schon vorab produziert haben: Elke, eine Schweizerin, und Horst Reiner aus Österreich.
Hannibal

Duncan Johnson - Roger 'Twiggy' Day - Andy Archer - Hannibal auf der Mebo II
Duncan Johnson – Roger ‘Twiggy’ Day – Andy Archer – Hannibal auf der Mebo II

Ulf: Ja, das stimmt. Horst Reiner war schon bei dem ersten Radio-Nordsee-Projekt dabei. Edwin Bollier und Erwin Meister brauchten Diskjockeys. Sie haben überlegt: Wen kennen wir, so dass sie auch die Diskjockeys gefragt haben, die beim ersten Projekt dabei waren. Ich war zufällig in Zürich, und den Horst Reiner haben sie auch gebeten. Er kam dann später nach Zürich, das war wohl im Dezember 1969. Er hat dann auch dort im Highlife-Club Bänder produziert, und auch die Elke hat das gemacht. Horst Reiner, den als Österreicher das Anti-Piratensender-Gesetz nicht betraf, ist dann als erster aufs Schiff gefahren. Damals waren Bollier und Meister zum ersten mal in einer Finanzkrise, das war ziemlich deutlich so im November/Dezember 1969.

Die beiden sind ja besondere Persönlichkeiten, vor allem der Edwin Bollier. Ich hab das damals als junger Mensch nicht so mitgekriegt, aber da sind schon einige sehr spannende Ereignisse gewesen. Die beiden haben sich als schweizerische Staatsbürger ungesetzlich verhalten als Funkamateure, das war deren Hobby. Ich habe bei Edwin Bollier in Islisberg gewohnt. Dort, etwa 30-40 km von Zürich entfernt, hatte er ein Landhaus. Dort hatte er seinen Sender installiert. Auf dem Landhaus stand ein 20 Meter hoher Mast, mit dem er die Welt befunkt hat. Mit seinem Freund Erwin hat er sein erstes Geld verdient, indem die beiden Funkkontakt zu Sierra Leone hielten – und zwar in Kriegszeiten. Dies ist aber jedem Schweizer verboten. Daher hat man ihm auch die Funklizenz entzogen. Doch so hatten die beiden mit nicht ganz koscheren Mitteln ihr erstes Geld verdient.

Erwin Meister war ein sehr guter Chef während meiner Zeit. Aber wenn ihm etwas nicht passte, wurde er ziemlich rüde. Als er kein Geld hatte, versuchte er in dieser Phase Kosten zu senken. Ich fuhr einmal mit ihm in einem VW-Bulli zum Zoll, musste irgendetwas für ihn holen und hab dann eine Schranke angefahren. Da gab es eine Delle im Auto. Er hat mich daraufhin entlassen, sagte: “Du bekommst auch kein Geld von mir, Du hast mir da eine Delle ins Auto gefahren.” Ich stand nun auf der Straße, suchte mir in Zürich einen anderen Job, hab da 2 oder 3 Wochen gearbeitet. Dann hatte er offensichtlich wieder Geld, kam zurück und sagte: “So Pascal, wir starten jetzt mit dem Sender, es ist bald Januar, die ersten Sendungen gehen los, Du kannst wieder mitmachen.” Ich forderte dann in meinem Unmut erst einmal mein Geld und hab auch alles gekriegt. In der Zeit danach war es dann natürlich fantastisch, wie er mit seinen Diskjockeys umgegangen ist. Wir waren 14 Tage an Bord und hatten dann 14 Tage Urlaub. Er hat damals – das muss man sich heute einmal vorstellen – jedem Diskjockey 1.400 Schweizer Franken im Monat gezahlt und zwar bei freier Kost und Logis… Und dafür hab ich nur jeweils 14 Tage gearbeitet. Wir hatten den Himmel auf Erden, die Kohle war spitzenmäßig. Die Waschanlagen an Bord waren vom Modernsten, für damalige Verhältnisse wirklich klasse. Die Studios waren tipp topp, sie standen keinem Rundfunkstudio nach, waren erstklassig ausgestattet. Die beiden hatten ja auch ein Händchen dafür. Also so hat das damals angefangen.

Die RNI-Erkennungsmelodie “Man of Action” vom Les Reed Ochestra gab es vorher schon. Es ist eigentlich eine sehr beliebte Melodie der DDO gewesen, der Deutschen Diskjockey Organisation. Als Mitglieder der DDO haben wir dann diesen Titel Meister und Bollier als Erkennungsmelodie vorgeschlagen. RNI hat ihn dann sehr populär gemacht. Damit hatte Les Reed wohl gar nicht gerechnet, denn nach meiner Kenntnis hat der Titel sonst in keiner Hitparade eine Rolle gespielt.

Martin: Ich möchte noch mal auf die beiden Schweizer zurückkommen. 1971 gab Andy Archer eine Pressekonferenz und sprach davon, die Mebo II diene Spionagezwecken. Es gab Medienberichte über die Stasi-Verbindung von Meister und Bollier. Schließlich geriet Bollier als der Lieferant eines Zünders derjenigen Bombe in die Schlagzeilen, die das Flugzeug in Lockerbie abstürzen ließ. Was sind das für Charaktere, was bewog sie letztlich, den Seesender RNI aufzubauen?

Ulf: Spaß! Sie hatten einen irren Spaß daran, waren von ihren Herzen her Funkamateure. Das waren keine Unternehmer, die haben mit ihrem Hobby Geld verdient, das war deren Interesse. Und sie waren wirklich geil aufs Radio, das fanden sie riesig. Durch die Verbindung zu Gschwend und Lüthy hatten sie dann zum ersten Mal Kontakt zu solch einem Sendeschiff. Vorher waren sie ja nur in Zürich in ihrem Landhaus mit der wirklich beeindruckenden Sendestation als Funkamateure aktiv. Das war die eine Motivation. Gleichzeitig haben sie aber an der Idee von Gschwend und Lüthy gelernt, dass man mit solch einem Piratensender durch Werbung auch ein Schweinegeld verdienen kann.

Martin: Könnte.

Ulf: Ja, könnte. Sie haben ja auch lange nichts verdient. Ich erinnere mich: Die erste Werbung für Bulova war getürkt, dafür bekamen wir kein Geld. Aber Bulova war eine sehr populäre Uhrenmarke, und wir hofften, dadurch andere zu interessieren und deren Widerstand gegen Werbung zu brechen. Die Fluggesellschaft Iberia gab uns einen ersten echten Werbeauftrag und dann kam auch Toshiba.

Die Jingles haben wir selbst produziert. Da gab es keine Werbeagentur, die uns das fertig lieferte. Es hieß dann: Die und die Begriffe müssen in die Werbung rein, überlegt euch mal, wie kann man so was aufdröseln, ein bisschen peppig wie bei einer Werbeagentur. So haben wir das dann selbst gemacht.

Aber Du fragst ja: Was sind das für Typen? Der Edwin Bollier sehr offensiv, guter Familienvater, süße Kinder, eine tolle Frau – ein richtig Netter, so war mein Eindruck. Der Erwin Meister eher introvertiert, ein bisschen zurückhaltend, nicht so in vorderster Front, das machte alles der Edwin Bollier. Was die alles getrieben haben, kann man mal an ein paar Geschichten aufzeigen, die die beiden betreffen. Die Vorgeschichte kennt Ihr ja nun, die haben mit Sierra Leone Geld verdient.

Die zweite Geschichte war: Wie haben die den Sender ausgestattet? Wir sind draußen gewesen, und uns fehlte eine Röhre. Ich bin kein Techniker, ich kann das nicht näher benennen, aber es war ein größeres Teil. Das fehlte dem Sender und war nirgendwo zu kaufen. Und das hat denen auch keiner verkauft. In einer Nacht- und Nebelaktion sind sie gemeinsam mit dem Sendetechniker Bruno Brandenberger nachts zu irgendeiner Schweizer Sendestation des staatlichen Rundfunks gefahren und haben die Röhre geklaut, einfach abgebaut. Damit sind sie dann nach Scheveningen gefahren, und dann wurde das Ding eingebaut. Ich erinnere mich noch, wie der Bruno das durch den Zoll bekommen hat: Der Zoll fragte, was das sei. Er antwortete, es handele sich um einen ganz besonderen Aufsatz für eine Fotokamera, eine Art Teleobjektiv. Die hätten das sonst natürlich beschlagnahmt. Und in der Schweiz waren die Meldungen: “Nebelaktion, irgendeiner klaut so eine Röhre, wozu das wohl gut ist…”

Eine andere, etwas haarigere, aber doch für Edwin Bollier typische Story: Wir lagen mit der Mebo II erst vor Scheveningen, später dann vor Clacton-on-Sea. Die Piratensender konnten ja nur deshalb senden, weil sie außerhalb der Dreimeilenzone ihre Programme starteten und damit nicht unter irgendeine Hoheit fielen. Nun hatten sich verschiedene Länder zusammengeschlossen und ein Gesetz gegen Piratensender ratifiziert, dazu gehörten die Engländer und deswegen waren die ganzen Englischen Schiffe weg. In Holland war das nicht ratifiziert worden, deshalb konnte man vor Holland senden. Dennoch lagen wir zum damaligen Zeitpunkt vor Clacton-on-Sea. Wir benutzen (auf Kurzwelle oder UKW, das erinnere ich nicht) eine Seenot-Frequenz. Wir wussten jedoch nicht, dass es sich um eine Seenotfrequenz handelte. Der englische Staat reagierte ziemlich schnell. Wir hatten schon nach zwei, drei Tagen ein englisches Kriegsschiff vor unserer Mebo II liegen. Dieses Schiff nahm mit uns Funkverkehr auf. Wir standen an Deck und beobachteten, was die da machten. Auf einmal drehten die ihre Kanonen in unsere Richtung. Unser Kapitän Jan Harteveld hörte über Funk: “Sofort die Sendungen einstellen – sonst wird geschossen!” Was haben wir gemacht? Wir haben Bollier in Scheveningen angefunkt. Der sagte einfach nur: “Ihr habt doch eine Pistole. Wehrt euch!” Wir haben dann erstmal die Sendungen eingestellt und die Frequenz gewechselt. So war der Edwin Bollier.

Dass er später mit Libyen und der DDR Geschäfte gemacht hat, hat er auch öffentlich zugegeben. Diese berühmten 15 Prototypen aus seiner Herstellung – einer war ja in dem Koffer, mit dem das Lockerbie-Flugzeug in die Luft gesprengt wurde – hat er nicht nur nach Libyen, sondern auch in die DDR verkauft. 7 gingen an die DDR und 8 an Libyen – oder umgekehrt. Bis heute ist völlig ungeklärt, aus welchem Land dieser Prototyp stammt, also ob Libyen ihn eingesetzt hat oder die DDR, das ist völlig offen. In den englischen Medien wird das etwas vorsichtiger als in den deutschen Medien behandelt. Die Engländer gehen mit dem Thema Lockerbie viel sorgfältiger als wir um, etwas neutraler, was die Ursachen betrifft. Edwin Bollier hat dazu auch sehr viele Interviews gegeben, ist nach meiner Kenntnis auch Kronzeuge. Die Geschichte zeigt aber auch, zu welcher Art von Geschäft die beiden durchaus fähig waren.

Martin: Zurück zu RNI im Jahre 1970. Damals gab es deutschsprachige Sendungen von 5:30 Uhr bis 7:00 und von 20:00 bis 23:00 Uhr.

Ulf: Das weiß ich gar nicht mehr, ist so lange her…

Martin: Dazwischen und in der Nacht gab es englischsprachige Sendungen. Die ersten Testsendungen fand ich nicht ganz so gelungen, wenngleich sie natürlich spannend waren. Die Eröffnungssendung am 28. Februar wurde dann durch Roger ‚Twiggy’ Day und Horst Reiner live von Bord präsentiert. Damals war ich von Horst Reiner kolossal enttäuscht, der doch recht unprofessionell wirkte. Als Du dann aber zum ersten Mal live vom Schiff Deine Sendung machtest, haben wir einen anderen Hannibal kennen gelernt, viel relaxter, entspannter, das hat mir deutlich besser gefallen.

Ulf: Ja, das muss man ein bisschen hinterfragen. Der Horst Reiner – schau auch noch mal nach, wofür der zuständig war bei Radio Nordsee auf der Galaxy – war Österreicher, 3 oder 4 Jahre älter als ich, aus meiner Sicht ein gestandener Mann. Er arbeitete in einer Krefelder Diskothek. Das war ein Tanzlokal, keine Disko. Er legte deutsche Platten auf, auch Wiener Walzer. Er moderierte charmant, wie Österreicher sein können, mit Schmäh bei älteren Damen das Programm. Das ist der Hintergrund vom Reiner, da muss man fair sein. Also das war seine Welt. Meine Welt war ganz anders: Ich stammte aus Diskotheken in Mönchengladbach, die sehr jugendorientiert waren. Ein Beispiel: Ich arbeitete in den beiden größten Diskotheken, die es gab. Die war eine in Kaldenkirchen, der “King’s Nightclub” – dort war ich mehr als ein Jahr beschäftigt. Und ich war in Rheydt im “Flashlight”, das damals mit “Manfred Mann live” eröffnet wurde. Also da ging die Post ab. Die waren bei uns auf der Bühne, und da war ich Diskjockey. Bei mir lief kein deutscher Titel. Ich dachte damals: “Was soll ich mit dem Mist?” Aber der Reiner war eben anders. Und er hat auf Radio Nordsee für seine Verhältnisse ein hochmodernes Programm gemacht. Also da muss man fair sein, muss immer sehen: Wo kommt jemand her, was ist sein Background? Mein Background war einfach. Ich war der jüngste. Wenn Du dir anschaust, wer alles dabei war, ich war der jüngste Diskjockey, war 21 und grün hinter den Ohren.

Zu überlegen ist ja: Wie war damals die Rundfunkwelt? Sie war geprägt durch staatliche, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Diese Sender in der Bundesrepublik haben für junge Leute eigentlich nichts geboten. Der erste Sender im öffentlich-rechtlichen Bereich, der bereit war, sich um junge Leute zu kümmern, war der Südwestfunk. Das war erst zu Anfang der siebziger Jahre. Ende der sechziger Jahre tat das in Deutschland keiner. Der einzige Sender, der ein bisschen moderner war, aber durchaus hausbacken, war Radio Luxemburg. Das war der populärste Sender schlechthin, und da kamen dann die Piratensender und versuchten modern zu sein und zwar auch in deutscher Sprache – das gab es vorher nicht. Heute sieht die Welt ganz anders aus. Da hat ja fast jede kleine Stadt einen eigenen Rundfunksender, und die Musik ist sehr populär, sehr aktuell, sehr international. Aber 1969 oder 1970 war daran noch kein Denken.

Martin: Die übliche Frage bei Seesender-Diskjockeys lautet immer: Wie war es mit Seekrankheit, wie war das Leben an Bord?

Ulf: Also vor Scheveningen ging das ja. Da war die Überfahrt mit dem Tenderschiff Mebo I zum Radioschiff Mebo II sehr kurz, dauerte maximal zwei Stunden. Wir blieben dann 14 Tage auf dem Schiff, und anschließend kamen wir für ein Wochenende, oder 10 Tage, manchmal auch 14 Tage an Land. Aber dann lagen wir lange vor Clacton-on-Sea, da war die Situation anders, die Mebo I kam weiterhin aus Scheveningen und fuhr den weiten Weg dorthin. Bei jeder Überfahrt – wirklich jeder – hab ich gekotzt wie ein Reiher. Nur auf der Mebo II nicht, da hab ich mich daran gewöhnt, da war das Rolling anders. Wir lagen vor Anker, die Bewegungen waren etwas anders. Aber wenn Sturm war, und du warst im Studio (dort hatten wir ja kein Fenster in den beiden Studios vorne im Bug) – das war schon hart. Ein Eimer neben dem Mikrofon war schon nicht schlecht. Ich wurde seekrank, immer wieder seekrank. Auf der Überfahrt war es immer schlimm, ich konnte mich zwar an Deck aufhalten, was ja das einzige ist, das ein bisschen hilft, da man den Horizont sieht. Aber selbst das hat mir nicht wirklich geholfen.

Da fällt mir eine Geschichte ein: Beim ersten Radio Nordsee, auf der Galaxy, kam auf einmal ein Erfinder vorbei, der uns etwas verkaufen wollte. Er hatte nämlich ein Mittel gegen Seekrankheit erfunden. Das Mittel gibt es heute offenbar. Es handelte sich um ein Ehepaar, sie verhärmt, er etwas “ökomäßig”. Sie war immer begeistert von ihrem Mann, sagte über ihn: “Mein Mann erfindet ganz tolle Sachen.” Er kam nun also mit diesem Mittel gegen Seekrankheit, das eingenommen wurde und im Magen aufquoll. Dadurch sollte man nicht seekrank werden. Quirini und wir haben mit ihm rumgeflachst und haben schließlich gefragt, was er denn noch für tolle Sachen erfunden hätte. Da sagte seine Frau: “Wissen Sie, mein Mann kann aus Scheiße Butter machen.” Da haben wir gelacht. “Nein,” sagte sie, “ganz ernsthaft. Das Problem ist nur: Wir kriegen den Geruch nicht weg.” Das war 1968 – derbe verrückt.

Roger Day, Andy Archer, Hannibal
Roger Day, Andy Archer, Hannibal

Martin: Der rasche Wechsel des Sendeschiffes von der holländischen zur englischen Küste geschah nach meiner Kenntnis, weil die Werbekunden ausblieben.

Ulf: Das ist richtig. Wir hatten ja gehofft, dass wir durch die englischen Diskjockeys – das war die Grundidee – Werbung bekommen würden. Das hat aber nicht so geklappt. Da dachten wir: Also müssen wir eben nach England fahren, dort ist die Heimat der Piratensender, dann bekommen wir – wenn wir in England über UKW zu empfangen sind – wenigstens dort die entsprechenden Werbeaufträge.

Martin: Der Hauptkonkurrent Radio Veronica hatte Schweigegeld gezahlt?

Ulf: Das ist eine andere Geschichte. Ich hab den Bull Verweij kennen gelernt, ein ganz netter Mann. Er war das große Vorbild von Edwin Bollier und Erwin Meister, zumindest im niederländischen Bereich. Sie hatten tolle Studios, nahmen ja alles an Land auf. Unheimlich pfiffige Diskjockeys, da sind wir mehrere Tage gewesen. Der Bull hatte sich angefreundet mit Edwin Bollier, die duzten sich, gingen unheimlich locker miteinander um. Bull Verweij wollte sich werbemäßig schützen, er wollte nicht, dass Radio Nordsee vor der holländischen Küste mit niederländischen Programmen beginnen würde. Also haben die beiden vereinbart – und Bollier war ja auch in einer schwierigen Phase, es gab nicht viel Geld: “Du bekommst von mir 1 Million Gulden, und zur Sicherheit habe ich die Hände auf Deinem Schiff”, das zu dem Zeitpunkt auch an Land lag. “Ihr sendet auf keinen Fall in holländischer Sprache.” Edwin Bollier willigte ein, kassierte die Kohle. In einer Nacht- und Nebel-Aktion (die Röhren und anderes waren zunächst noch abgebaut worden) brach er dann zusammen mit Brandenberger und Harteveld ein Lager am Hafen auf. Sie haben dort ihre Senderöhren wieder rausgeklaut, sind heimlich aufs Schiff gegangen und raus aufs Meer gefahren. Anfangs haben sie noch vor Clacton-on-Sea gesendet und nicht vor Hollands Küste. Später kamen dann doch die holländischen Diskjockeys, und dann wurde Bull Verweij sauer. Wie ja die meisten wissen, hat er dann die Mebo II in Brand stecken lassen. Doch da war ich schon nicht mehr dabei, das war im Frühjahr 1971… Ich bin schon im Mai 1970 zu Radio Luxemburg gegangen.

Martin: Du bist ja während Deiner Zeit an Bord mit “Berühmtheiten” zusammen gewesen. Andy Archer, Alan West, Roger ‚Twiggy’ Day, Carl Mitchell, Duncan Johnson, Mark Wesley waren allesamt sehr erfahren durch ihre Zeit bei den englischen Seesendern und hatten sich bei Millionen Hörern bereits einen Namen gemacht. Man kann da sicherlich viel lernen?

Ulf: Ja, ständig! Wir haben ja auch zusammen Sendungen gemacht. Das war nicht wie im normalen Rundfunkstudio. Man kam da rein und hat dann oft spontan mit dem jeweiligen Kollegen was gemacht. Das machten die mit mir genauso. Wenn jemand durch das Studio lief, dann wurde zusammen irgendwas erzählt. Die Engländer hatten alle einen so lockeren Stil drauf, und ich konnte Englisch genug, um mich mit ihnen zu verständigen, so dass ich bei ihnen nur abgucken und lernen konnte. Ich war nicht wirklich ein Rundfunkjockey, musste selbst noch lernen, hab das zunächst so gemacht wie in der Diskothek. Die anderen hatten Sprüche und Witze drauf, kamen mit den Jingles… Ich hatte doch als Diskjockey keine Ahnung von “Jingles”, was war das? Die Engländer lebten davon, hatten das mitgebracht, brachten es mir dann bei. Wir haben miteinander ständig geredet. Duncan Johnson mit dieser irren sonoren Stimme, ein schmaler, fast zwei Meter großer Mann: Wenn er mit seinem sonoren Organ sagte: “Hannibal, we must help you.” Dann kam da was rüber, das war wirklich toll. Und Roger ‚Twiggy’ Day, ein ‚Skinny’, ein ganz dünner, ständig beschäftigt, immer quirlig, saß auf dem Tisch, wenn er redete. Der konnte nicht still sitzen während seiner Sendungen.

Da brauchtest du nur zuzuhören, da wusstest du: Die sind hoch professionell, die haben irre Erfahrungen. Mit 22 bist du neugierig, also was machst du: Du guckst was ab. Das hat mir später sehr geholfen bei Radio Luxemburg und beim WDR. Da kriegst du dann selbst eine Professionalität. Als ich beim WDR 1974 anfing, gab es da eine neue Jugendsendung, die “Radiothek”. Ich war einer der sechs Moderatoren. Der WDR hat in der Radiothek ähnlich wie RNI gearbeitet, also wir haben dort auch die verschiedenen Musiktitel angesagt und ein bisschen was über die Künstler erzählt. Radio Luxemburg machte das etwas anders, da wurden nicht nur Platten angesagt, mit dem Titel, dem Künstler, wo kommt er her usw. Wir mussten uns vielmehr irgendwelche Themen überlegen, vornehmlich in den Nacht- und UKW-Sendungen, in denen wir dann über die Platten nichts sagen durften und die Hörer mit der Attraktivität des Themas bei der Stange halten sollten. Die Kollegen beim WDR jedenfalls haben nur Bauklötze gestaunt und dicke Augen gemacht, wie man Sendungen macht. Ich hab da alles ausgekramt. Radio Nordsee hatte zum Beispiel ein “Format-Play” – das hatte ich niemals vorher gehört und dann von Roger ‚Twiggy’ Day gelernt. Er hatte die “Format-Playliste” schon von Radio Caroline mitgebracht. Er sagte: “So kriegst du Hörer, so bleiben die am Rohr.” Also man konnte nur lernen.

In den zwölf Jahren, in denen ich Rundfunk und Fernsehen gemacht habe, hatte ich übrigens immer Zugriff auf die Auswahl der Musik. Bei Radio Nordsee war das ganz einfach: Ich brachte meine eigenen Schallplatten mit. Damals sind wir mit zwei Diskjockeys durch die deutschen Lande gezogen und haben bei den Firmen um Musterexemplare gebettelt, damit wir überhaupt Schallplatten an Bord hatten. Bei Radio Luxemburg war das anders: Der Sender wurde überschüttet mit Schallplatten der Musikindustrie, und auch hier hatte jeder Sprecher die Verantwortung die Musik selbst auszusuchen, wobei der Sender sich vorbehielt Eingriff zu nehmen in das Programm. Wir hatten dort die Vorschrift, dass wir nicht mehr als 20 Prozent englische Titel spielen durften im Tagesprogramm. Das war bei Radio Nordsee völlig freigestellt. Der WDR war da wieder einfacher. Da konnte man trennen zwischen Sprecher und Musik, da gab es zwei Verantwortlichkeiten. Aber meist wurde das in eine Hand gelegt, und ich hatte im WDR immer die Verantwortung für die Musikauswahl und die Sprachinhalte zugleich.
Werbung ‘Toshiba’ (mit Störsignal)

Martin: Es gab ein Unikum bei RNI. Man wirft Seesendern immer wieder vor, dass sie die Frequenzbänder stören. Dabei wurde Radio Nordsee International von den englischen Behörden selbst gestört.. Das führte dazu, dass Ihr häufig die Frequenz wechseln musstet.

Ulf: Ich muss zugeben, ich bin technisch völlig blind, ein Laie, hab mich darum nie wirklich gekümmert. Bollier sagte dann meistens: “Ihr müsst jetzt diese oder jene Frequenz ansagen.” Da hattest du die alte Frequenz gerade so gelernt, dass du sie aussprechen konntest ohne nachzudenken – da musste man sich das wieder aufschreiben, “wo senden wir?”

Martin: Nun war RNI in der Bundesrepublik, der DDR, Österreich und der Schweiz nicht gerade berauschend zu empfangen. Wie war die Resonanz der Hörer?

Ulf: Waschkörbe-weise! Von der deutschsprachigen Bevölkerung bekamen wir die meiste Post aus der DDR, da wurden wir offensichtlich gut gehört… Da kamen dicke Körbe mit Briefen an, tolle Sachen, richtige Begeisterung. Sehr viel Post bekamen wir aus den skandinavischen Ländern (Dänemark, Schweden, Norwegen), auch aus England, aber erst dann noch mehr, als wir vor Clacton-on-Sea lagen.

Damals habe ich ja auch viele Sendungen in englischer Sprache moderiert – auf UKW ist es Quatsch etwas auf deutsch zu erzählen, so dass wir oft zusammen moderiert haben. In einem Poll des Melody Maker war ich mal in der Riege der beliebtesten Diskjockeys – als einziger Deutscher, der je da aufgetaucht ist, faszinierend!

Die schönste Story habe ich bei Radio Luxemburg erlebt: Paul McCartney startete seine Tournee mit den Wings, die Beatles waren aufgelöst, und ich arbeitete bei RTL und wollte ihn interviewen. Ich fuhr also nach Offenburg, dort war das Konzert. Es dauerte lange, und der Veranstalter Fritz Rau ließ nicht jeden herein. Aber ich habe gekämpft, um mit dem Mann ein Interview zu machen. Paul McCartney! Da hab ich als 14jähriger doch so gezittert, das war ja meine Zeit, und endlich ließ er sich von Fritz Rau breitschlagen, mit dem “Ullrich” von Radio Luxemburg (das war mein Sprechername dort) ein Interview zu machen. Ich gehe also in die Garderobe, und da saß er, zusammen mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Linda. Die Jungs von Wings tranken was, waren sehr locker. Meine Hand hat so gezittert, dass ich sie mit der anderen Hand festhalten musste, damit das Mikrofon nicht so wackelte vor lauter Aufregung. Paul McCartney, etwas Größeres konnte man sich gar nicht vorstellen. Und als wir da so saßen, fragte er mich: “Wer bist Du denn?” Ich erzählte ihm: “I am Ullrich from Radio Luxembourg, and before that I have worked for a pirate radio station…” “Which pirate station?” “Radio NorthSea International.” Da guckt er mich an und sagt: “Hey, are you Hannibal The Cannibal?” Eine Riesengenugtuung für mich! Ab dem Moment hat nichts mehr gezittert.

Martin: Der Grund Deines Ausscheidens bei RNI?

Ulf: Nun, das Gesetz gegen die Piratensender war inzwischen ratifiziert worden in Deutschland.

Martin: Dein Kollege Axel war aber doch auch Deutscher?

Ulf: Ja, ich weiß. Das Gesetz gegen die Piratensender war 1970 in Deutschland ja schon ratifiziert. Ich war ja nun Deutscher, und wir hatten uns nach der Ratifizierung überlegt: Ja, wie heiß ich denn dann. Mein Diskjockey-Name war ja Pascal Posé, und dann haben wir gesagt: In Deutschland kannte man mich durchaus, ich war in 4 Diskotheken tätig, also besser ein bisschen vorsichtig sein. Nach langem Überlegen kamen wir dann auf die Idee zu sagen: “Hannibal The Cannibal from Radio NorthSea International,” das war dann so ein Sprachfluss. Mein richtiger Name war aber bekannt durch das Hamburger Radio Nordsee-Projekt. Und so hab ich mir überlegt: Was machst du jetzt? Und diese – Entschuldigung – ewige Kotzerei, hin-zurück, hin-zurück, ging mir auch auf den Senkel. Mir war das alles zu risikoreich. Du könntest bestraft werden. Ich wusste sehr genau, dass das Gesetz eine Strafe von bis zu 2 Jahren Gefängnis vorsah, wenn man einen solchen Sender unterstützt. Unterstützen heißt eben auch, dort zu arbeiten. Ich hatte ein bisschen Schiss. Also habe ich Edwin Bollier gesagt: “Ich würde gern aufhören, es ist mir zu risikoreich.” Er sagte: “Okay…” Ich habe ihn dann gefragt, ob ich noch mal aufs Schiff dürfte, um meine Schallplatten abzuholen. Da sagte er: “Da musst Du dir schon ein eigenes Schiff mieten, um sie dort abzuholen.” Dabei war das ein ganz schön großer Koffer mit den Tophits, der war somit weg! Anschließend war ich noch 4 Wochen in der Diskothek “Alabama” in Dörpen, das liegt in der Nähe von Papenburg im Emsland, verdiente dort ein Menge Geld als “Hannibal from RNI”. Ich bekam 7.000,- DM für 4 Wochen Arbeit, das war gigantisch, ich war König…

In der Zeit habe ich mich bei Radio Luxemburg beworben. Wurde dann eingeladen zum Vorsprechen – so nennen die das. Damals trug ich noch einen Bart… Der Programmdirektor Helmut Stoldt, der Chefsprecher Frank Elstner und Jochen Pützenbacher (der spätere Chefsprecher) nahmen mich dort zu dritt in Empfang und ließen mich moderieren. Ich musste mit dem Frank ein Interview führen, und Jochen sollte einen Künstler mimen, mit dem ich sprechen musste. Nach einer Stunde sagte der Stoldt: “Okay, Sie haben ein neues Schiff.” Und dann hatte ich ab dem 1. August 1970 einen neuen Job bei Radio Luxemburg für zunächst 4 Wochen Probezeit. Am letzten Tag wurde immer dem neuen Sprecher gesagt, ob er bleiben kann oder gehen muss, das ist ziemlich hart. Aber ich konnte bleiben – für dreieinhalb Jahre als “Ullrich”. Zum Ende dieser Zeit hat Frank Elstner sehr bedauert, dass ich wegging. Er hat mir damals gesagt: “Ich fand Dich toll, Du kannst jederzeit wiederkommen, wenn Du einen Job brauchst.” Ich bin aber nie mehr zurückgekehrt, fand dann ja die wunderschöne Aufgabe beim WDR, konnte dort ab Ende 1973 die “Radiothek” gemeinsam mit anderen Moderatoren betreuen. Und so war ich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, arbeitete für WDR, NDR, Radio Bremen, SWF (da wäre ich am liebsten geblieben, das war der beste Sender), HR, Südfunk Stuttgart, DLF und Deutsche Welle – insgesamt 7 Jahre.

Martin: Eine wechselvolle Entwicklung, wie ich gelesen habe. Selbst Sportreporter warst Du beim WDR?

Ulf: Ja, mit Ernst Huberty… Meine Aufgabe war es feuilletonistische Sportberichte zu machen. Ich war aber kein Sportreporter im klassischen Sinne. Ich war mal bei der Düsseldorfer EG und sollte einen Bericht über das Eishockey-Spiel gegen die Kölner Haie machen. Zuvor hatte ich noch nie Eishockey gesehen… Ich hab dann bei der DEG gesagt: “Ich muss da einen 3-Minuten-Bericht abliefern, können Sie mir jemanden zur Seite stellen, der mich über die Regeln aufklärt?” So hatte dann ich während des gesamten Spiels einen Jugendtrainer neben mir, der mir das Spiel erklärt hat. Der Kameramann und die Techniker machten ihre Arbeit. Im Studio ließ ich das Ding dann schneiden und hab dann mit dem neuen Wissen dieses Jugendtrainers diesen Bericht kommentiert. So fing das mal an im Sport…

Martin: Du hast auch im Fernsehen moderiert, beispielsweise bei “Musik aus Studio B”.

Ulf: Ja, 1977 mit Curd Jürgens, Paola (ich hab ja während meiner Zeit in der Schweiz auch Schwyzerdütsch gelernt, ein Schweizer konnte mich von einem Schweizer nicht unterscheiden), Miriam Francis, Al Martino… Damals gab es bei der Sendung ein Jahr lang wechselnde Moderatoren. Ich war aber kein Fernsehmoderator, das muss man fairer Weise sagen. Ich war ein guter Rundfunkmoderator, aber Fernsehen war nicht mein Medium. Dieses Auswendiglernen, Kamera verfolgen, Wechsel der Kamera – Spontaneität gab es ja damals im Fernsehen nicht. Also so eine Idee davon, was Gottschalk später im Fernsehen gemacht hat. Thomas Gottschalk hab ich während der RTL-Zeit kennen gelernt in München bei einem Scorpions-Konzert. Er wollte unbedingt ein Interview, aber die wollten ihn als so einen Typ vom Bayrischen Rundfunk nicht drauflassen. Da hat er mich gefragt, ob ich ihm nicht helfen könnte, mit den Scorpions ein Interview hinzukriegen. Ich als RTL-Mann hatte diese Probleme nicht, war groß im Bild. Hab denen dann gesagt: Redet doch auch mal mit dem. Er war schon damals so ein Schlacksiger, sah damals schon aus wie heute, ein Netter! So hat man Leute kennen gelernt, es war eine verrückte Zeit.

Neben “Musik aus Studio B” hab ich beim WDR zwei Musiksendungen mit dem Kurt Edelhagen-Orchester moderiert, die Sendung hieß “Musik Extra 3”. Ich habe aus der ganzen Zeit nichts übrig behalten, nur noch Schallplatten und Adressbücher, aber keine Ton- oder Bilddokumente. Seit 23 Jahren arbeite ich ja nun in der Personalentwicklung (1980 hab ich beim WDR aufgehört). Da hatte ich dann mal einen Kunden, einen Verkäufer, der erzählte von seiner Jazzsammlung. Er sagte: “Ich habe von Kurt Edelhagen noch Tonbänder und Videoaufnahmen – mit Ihren beiden Fernsehsendungen!” So hat mir dieser Kunde 15 Jahre später das Band kopiert. Da konnte ich meinen Kindern mal zeigen, wie der Papa damals aussah. Die haben nur gelacht, “ätzend, ätzend” gerufen. Das war wirklich schön.

Martin: Zusammenfassend: 12 interessante Jahre, viele verschiedene Sender, unterschiedliche Erfahrungen im journalistischen Bereich. Ein Mann, bei dem jeder Sender sagen würde: Den wollen wir haben. Warum bist Du dann trotzdem ausgestiegen?

Ulf: Das ist eine bittere Geschichte. Sie ist nie öffentlich geworden, aber ich kann sie ja mal erzählen. Sie besteht aus zwei Bereichen. Beim WDR gab es neben den fest Angestellten so genannte “feste freie” Mitarbeiter, die machten feste Sendungen, waren aber nicht angestellt, aber weisungsgebunden, ein wichtiges Kriterium. In der Mitte der siebziger Jahre hat der WDR entschieden, sich von den “festen Freien” zu trennen. Die wollten sie raus haben zu einer Zeit, als es dem WDR schlecht ging.

Damals hatte ich eine Idee, ich habe nämlich MTV erfunden… Das glaubt mir keiner mehr, aber ich hab es wirklich erfunden. Es wollte nur keiner haben. Ich bin damit rum gelaufen bei dem Rolf Spinnrads, für ihn hab ich die “WDR Plattenküche” begleitet, ich hab da früher die Künstler organisiert. Die wollten billige Fernsehsendungen machen, und ich hab gesagt: “Ich weiß, wie das geht! Wir übertragen Rundfunk 1:1 aufs Fernsehen. Wir kaufen einen Haufen Videoclips, und der Sprecher sitzt im Studio, du kannst ein paar Filmbüchsen aufbauen, eine ferngesteuerte Kamera, einen Regisseur – fertig! Das kostet kaum Geld, du brauchst keine Dekoration, gar nichts.” Rolf entgegnete: “Wir müssen Künstler haben, wir müssen produzieren, außerdem fehlen uns die Rechte an den Bändern…” Ich sagte: “Moment – das besorge ich.” Ich habe alle Schallplattenfirmen abgeklappert, und man hat mir von jeder Schallplattenfirma Deutschlands die Senderechte an den Videoclips geben lassen, damit die überhaupt für eine normale Lizenz gesendet werden konnten. Hatte ich! Ich hatte die Verträge, ging zu dem Rolf Spinnrads – leider lebt er nicht mehr, er hat ja den Hape Kerkeling und auch den Otto entdeckt, war ein sehr innovativer Redakteur – und sagt: “Schau mal, ich hab alles, wir können loslegen.” Er meinte aber: “Da bin ich ja als Redakteur und Regisseur eigentlich überflüssig, das ist so nichts. Große Show, und die Künstler müssen hier sein, und ich will mit denen abends essen gehen…” “Aber das brauchst du doch alles gar nicht!” Er hat das einfach nicht mitgemacht. Da bin ich zum Hessischen Rundfunk, hatte sehr gute Kontakte, hab denen das Konzept vorgestellt. Die sagten dann: “Das Format ist nicht modern, das ist ja Rundfunk im Fernsehen, so was macht kein Mensch.” Das war 1976. Fünf Jahre später, also 1981, da war es der Renner. Also, das war jetzt nur eine “Zwischenstory”.

Warum ich ausgestiegen bin, ist relativ schnell erzählt: Es gab diese “festen Freien”, und die freien Mitarbeiter prozessierten gegen die Rundfunkanstalten und gewannen dann auch den Prozess. Ich habe damals auch gegen den WDR prozessiert und hatte ein Sonderurteil, das war was Verrücktes auch für meine Kollegen. Ich habe dann zum Schluss aber einen Fehler gemacht. Ich hatte folgendes Urteil in der ersten Instanz: Der Mann ist fest anzustellen – in der Zeit, in der er derzeit beschäftigt ist und zu den Bezügen, die er derzeit bekommt. Das war sensationell, das kriegte keiner. Man konnte im WDR als fest angestellter Rundfunkmoderator 7.000 bis 8.000 DM verdienen – durchaus viel Geld. Ich arbeitete aber nur montags (Radiothek), dienstags nachmittags zwei Stunden, dann hatte ich noch eine Rock ‘n Roll-Sendung von 1 oder 2 Stunden – also habe ich in der Woche ungefähr 6 Stunden gearbeitet. Das musste man zwar vorbereiten, aber wenn du da zwanzig Jahre im Geschäft bist, was bereitest du dann noch vor? Das ist fertig, geht schnell, die Vorbereitung einer Sendung dauerte eine halbe Stunde. Sagen wir mal, dass also 9 Stunden insgesamt zusammen kamen. Für diese 9 Stunden bekam ich knapp 15.000 DM damals. So eine Stunde brachte mindestens 400 DM an Honorar für einen Freien. Jetzt hatte ich ein Urteil: “Der Mann wird 6 Stunden beschäftigt und kriegt sage und schreibe 15.000 DM…” Der WDR ging in zweiter Instanz in die Revision beim Oberlandesgericht – und ich habe wieder gewonnen. Jetzt kam das Bundesarbeitsgericht. Wir sind da mit einem Rechtsanwalt hin und sitzen da, und die Richterin in ihrer schönen roten Roben sagte: “Ja wir fällen jetzt wohl ein Urteil in Ihrem Sinne – aber wollen Sie denn überhaupt ein Urteil?” Da guckte ich meinen Rechtsanwalt an, und sie sagt noch: “Sie können die Klage zurückziehen, sie verlieren Ihren Sozialanspruch ja nicht.” Mein Rechtsanwalt fragte mich, was ich denn nun wolle. Ich sagte und war wohl ein Volltrottel: “Ich will arbeiten dürfen. Mir geht es nicht um eine Festanstellung, ich möchte gern arbeiten dürfen.” Da schlug er vor: “Dann ziehen wir die Klage zurück.” Ich Trottel hätte das Urteil nehmen sollen, hätte zum WDR sagen sollen: “Jetzt hab ich hier mein dickes Urteil!” Darauf warteten doch viele meiner Kollegen. Wenn das vom Bundesarbeitsgericht bestätigt worden wäre, hätten die ja alle darauf geklagt, in den Zeiten angestellt zu werden, die sie anboten und zu dem Geld. Das wäre sensationell gewesen, ich verdiente ja vielleicht mehr als der Intendant. Das war schon verrückt. Und ich Trottel zieh dann die Klage zurück und hab dann dem WDR geschrieben: “Ich will ja nur arbeiten.” Die haben dann gesagt: “Wunderbar”, und ich durfte auch weiter arbeiten.

Aber dann kam die zweite Phase 1980, und da muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich einen sehr großen privaten Fehler gemacht habe, der dazu führte, dass man mir für ein Jahr den Führerschein entzog. Ich habe nämlich einen Autounfall verursacht und habe Fahrerflucht begangen. Das war damals durchaus in den Schlagzeilen, aber das ist nicht so populär. Beschämend für mich, dass ich so was gemacht habe, das tut mir auch sehr leid, aber ich hab das damals eben gemacht. Der WDR sagte: “Mensch, der Junge ist in den Medien, der muss raus.” Dann hat mich mein Redakteur rausgeschmissen: “Posé, Du kriegst hier keinen Job mehr, am 31. 12. ist für Dich hier Schluss.” Ich war ja 7 Jahre beim WDR gewesen, und ich habe dann um einen Termin gebeten beim Programmdirektor Manfred Jenke. Doch der hat mich nicht empfangen, wollte mit mir nichts zu tun haben. Und so habe ich am 31. 12. 1980 meine letzte Sendung dort gemacht und war draußen.

Ich habe dann noch mal meinen Prozess geführt (die Richterin beim Bundesarbeitsgericht hatte mir ja versichert, dass ich meinen Sozialanspruch nicht verliere), und in der ersten Instanz wurde das Ding abschmettert. Die Richter sagten: “Was will der Mann eigentlich, der hat doch seine Klage zurückgezogen.” Also hatte ich die “Arschkarte” gezogen, kann man das so sagen?

Martin: Du bliebst dann aber konsequent und gingst nicht mehr zurück in den Rundfunkbereich?

Ulf: Ja, denn ich hatte Glück. Ich war ja ständig sehr engagiert, hab zum Beispiel viele Jahre lang die historischen Jahrmärkte moderiert für den Harry Owens, der dann später diesen Zirkus Salome hatte. Oder der Bernhard Paul vom Zirkus Roncalli, mit dem war ich damals befreundet, dem hab ich geholfen, dass sein Zirkus heute überhaupt existiert, er schuldet mir noch eine Menge Geld. Er wird sie mir nie zahlen, aber er schuldet sie mir, weil er damals gesagt hat: “Ulf, ich brauche Geld!” Ich war ja ein bekannter Rundfunkmoderator, hab ihm zugesagt zu helfen. “Okay”, sagte Bernhard, “Du bekommst 12 Prozent.” Da bin ich zu Günter Hill, das war der Chef von Samson Tabak (Niemeyer-Oldenkott), der kannte mich gut, hab ihm gesagt: “Der Bernhard Paul, der früher mit André Heller den Zirkus hatte, will jetzt in Köln einen neuen Zirkus Roncalli aufmachen. Wollte Ihr den nicht sponsern?” Er erwiderte: “Herr Posé, wenn Sie das sagen, das ist eine gute Sache, dann holen wir notfalls was aus der Portokasse. Dann muss das gut sein.” Der Bernhard Paul hat nach allem was ich weiß in 12 Jahren von Niemeyer-Oldenkott mehrere Millionen DM an Sponsor-Geld bekommen und hat mir mein Geld nie bezahlt… Da wäre ich ein reicher Mann gewesen. Also manche Dinge laufen auch schon mal schief im Leben.

Aber zwei Jahre vor meinem Ausscheiden beim WDR erfuhr ich durch eine Moderation auf einer Messe zum ersten Mal von “Trainingsseminaren”. Dann schickte mich ein Kunde in die Schweiz zu einem Trainer und sagte: “Schauen Sie sich das einmal an.” Ich entgegnete: “Was soll ich da, das müssen Sie mir aber bezahlen.” Ich habe dann sogar ein Honorar dafür bekommen, das ich so ein Seminar besucht habe. Und ich hab dann die Messe moderiert, die hieß IBA ’78 oder so ähnlich. Ich fand das faszinierend. Da konnte man was lernen. Nun muss ich erzählen, dass ich während meiner Zeit bei RTL den damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann in Kommunikationsfragen betreuen konnte. Die Politiker holten sich damals bekannte Rundfunkmoderatoren. So hat etwas Frank Elstner lange Zeit Frau Mildred Scheel betreut. Ebenso habe ich Willi Weyer betreuen dürfen, den früheren FDP-Innenminister in NRW – damals als junger Mann. Für Willi Weyer durfte ich die Aktion “Ein Herz für Kinder” mitentwickeln. Aus der heutigen Perspektive muss ich mir sagen: Was hast du dir eigentlich eingebildet, dass du so was kannst, solch politisch wichtigen Menschen einen Rat geben zu fürfen. Aber die waren interessiert am Urteil solcher Rundfunkmoderatoren. Und so hab ich sie betreuen dürfen. Da war ein Ansatzpunkt. Ich hab erkannt: Das könnte eine Alternative zum Rundfunk werden. Das war also 1978.

Zwei Jahre später war ich ja draußen, hab mich ausbilden lassen, hab all mein Geld investiert, war dann pleite. Meine erste Ehe scheiterte, weil meine Frau sagte: “Du bist wohl verrückt, setzt unser schönes Gesellschaftsleben aufs Spiel…” Ich habe ja vorher in der Philipshalle in Düsseldorf keinen Eintritt bezahlt. Wen ich dahin fuhr, haben die nur gesagt: “Ulf Posé vom WDR – der darf hier rein.” Ich brauchte keinen Backstage-Pass, die Ordner wussten, wer ich war. Das waren unvorstellbare Privilegien, die wollte meine Frau so nicht aufgeben. Also hat sie sich von mir getrennt. Ich hatte also keinen Job mehr beim Rundfunk, war pleite, die Banken nahmen mir die Scheckkarten ab, drohten mir eine Kontokündigung an, und mein Auto war weg. Ich hab mir von meinem Schwager immer den Wagen geliehen. Und dann hab ich nach zweieinhalbjähriger Ausbildung als Trainer angefangen. “Hier bin ich,” hab ich zu den Kunden gesagt, die mich fragten: “Für wen arbeiten Sie?” Ich erwiderte: “Sie könnten der erste sein…” “Nein,” haben die dann gesagt, “wir wären lieber gern der zweite.” So habe ich zwei Jahre lang Hunger leiden müssen. Aber macht euch keine Sorgen, niemand muss sammeln gehen für mich. Heute habe ich viel mehr Schulden als damals, kann sie aber besser finanzieren. Also mir geht’s gut. Ich bin seit 18 Jahren wieder verheiratet, hab drei Jungs, einen aus erster, zwei aus zweiter Ehe, die sind jetzt 25, 16 und 14 Jahre alt. Meine zweite Frau hat mich im “Elend” kennen gelernt, sie war Textilstudentin in Mönchengladbach, ein bildhübsches Mädchen, ich hab mich in ihre Augen und ihre Art verliebt. Sie war 22, als sie da so eine verkrachte Rundfunkexistenz kennen lernte, aber sie hat das durch gestanden. Das fand ich toll!

Ich hab also 1980 als Personalentwickler begonnen und betreue bis heute in diesem Beruf verschiedene Konzerne und Unternehmen, wenn es um die Frage geht: Wie stellen wir einerseits die Unternehmensziele mit einem Minimum an Aufwand sicher und haben andererseits ein verantwortungsvolles menschliches Miteinander als Kultur in unserem Unternehmen. Ich sitze heutzutage in Jesteburg beim TÜV Nord und versuche, den Führungskräften dort zu helfen im Rahmen ihrer Führungsverantwortung, d.h. verantwortungsvoll mit dem Unternehmen und ihren Mitarbeitern umzugehen.

Martin: Ich danke Dir ganz herzlich für dieses interessante und von Dir so offen geführte Interview. Im Namen der Zuhörer überreiche ich Dir eine Audio-CD mit Hannibal-Mitschnitten aus 1970. Auch Wolfram Bender hat noch was für Dich…

Ulf: Ist ja toll, ich hatte ja bislang nichts aus der Zeit. Von Euch habe ich die allerersten Aufnahmen aus dieser Zeit bekommen. Ich besitze nur ein paar alte Fotoalben, sonst nichts. Vielen Dank, wunderschön!

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