Ein nostalgischer Rückblick auf die Seesender von Martin van der Ven
Seit Jahrzehnten wird immer wieder die Frage diskutiert, was die Seesender so faszinierend macht. Verschiedene Erklärungen dieses Phänomens drängen sich auf: So etwa die oft atemberaubenden Abenteuer der Diskjockeys und Schiffsbesatzungen, die als Vorläufer späterer Reality-TV-Sendungen täglich „live“ im Radio zu verfolgen waren, aber auch die Aufmüpfigkeit der fälschlich „Piraten“ genannten Sender, die geschickt Gesetzeslücken nutzten und Pop- und Rockmusik spielten, die sonst im Radio kaum zu hören war.
Ein weiterer, in meinen Augen wesentlicher Aspekt war der teilweise sehr schwierige Empfang der Sender, die keineswegs wie heute üblich störungsfrei über UKW in jedem Autoradio, mit einem Satellitenempfänger oder als Internetstream zu hören waren. Vielmehr waren vor allem auch in Deutschland etwas besser ausgestattete Radioempfänger und günstigenfalls eine Spezialantenne erforderlich, um die meist auf Mittelwelle, vereinzelt auch über Kurzwelle ausgestrahlten Sendungen hereinzukommen. Dabei wirkten sich die jeweilige Tages- und Nachtzeit mit häufigem Fading oder auch Gewitterstörungen und die zahlreichen Interferenzen durch verschiedene Rundfunkstationen auf derselben Frequenz (meist aus dem damaligen Ostblock) oft negativ auf die Qualität des Empfangssignals aus. Außerdem standen den verschiedenen Seesendern unterschiedlich starke Sendeeinrichtungen an Bord zur Verfügung, so dass kleinere Sender wie Radio Atlantis oder Radio Delmare häufig nur stundenweise oder bei geeigneter Wetterlage zu hören waren. Meine These ist nun: Gerade diese Empfangsprobleme machten das Hören der Seesender besonders spannend und attraktiv, denn häufig waren ein nicht geringer Aufwand und anschließend eben auch ein kleiner Triumph damit verbunden, Sender wie Radio Caroline nun doch wieder in brauchbarer Qualität auf Mittelwelle zu hören. Ich will dies ausführlich mit eigenen Erinnerungen verdeutlichen.
1965-67
Den Anfang der Seesender, also die ersten skandinavischen Stationen, die Radio- und sogar Fernsehsendungen von der künstlichen REM-Insel vor der Küste von Noordwijk und auch die ersten Sendungen der englischen Seesender ab Ostern 1964 habe ich (im August 1955 geboren) noch vollständig verpasst. Meine Vorliebe für das Radiohören wurde zunächst in der Mitte der sechziger Jahre durch die deutschsprachigen Sendungen von Radio Luxemburg mit „Ansagern“ wie Frank (Elstner), (Dieter) Thomas (Heck), Helga (Guitton) und Jörg (Ebner) geprägt mit Sendungen wie „Die großen Acht“, „Die Funkkantine“, „Der fröhliche Wecker“ und „Die Hitparade“. Im Laufe des Jahres 1966 begriff ich dann, dass die mir besonders zusagenden englischen Schallplatten bei Radio Luxemburg oft nicht auf dem aktuellen Stand waren und einige Wochen hinterherhinkten. So gab es auf der Mittelwelle viele mir unbekannte, englischsprachige Sender, die deutlich aktuellere und auch „spritzigere“ Titel spielten. Rasch begann ich damals, eigene Hitlisten mit persönlichen Vorlieben zu erstellen, die möglichst auf dem allerneusten Stand waren. So muss ich zu diesem Zeitpunkt die Seesender wie Radio Caroline und Radio London entdeckt haben – ohne allerdings zu wissen, dass es sich um Sendungen von Schiffen auf der Nordsee handelte. Mein Englischunterricht auf dem altsprachlichen Gymnasium startete erst im Sommer 1967 (vorher hatten wir zunächst Latein gelernt…), so dass ich bis dahin nur wenig von den Sendungen verstand, allerdings damals schon die Namen der meisten „Beatgruppen“ und Plattentitel recht gut aussprechen und schreiben konnte.
Mein Elternhaus stand in Millingen, einem Ortsteil der am Niederrhein gelegenen Stadt Rees, nahe bei Emmerich und nur wenige Kilometer entfernt von der niederländischen Grenze (Arnheim ist nicht weit). Nachdem ich zunächst immer wieder die Rundfunkgeräte meiner Eltern im Wohn- und Esszimmer benutzt hatte (einen Receiver im Wohnzimmerschrank und ein ebenfalls etwas größeres, nicht tragbares Gerät), wünschte ich mir umso sehnlicher einen eigenes „Transistorradio“, das ich dann endlich zu Weihnachten 1965 bekam. Es handelte sich um ein recht kleines japanisches Gerät, dessen Hersteller ich heute leider nicht mehr erinnere (eventuell Sharp). Ehrlich gesagt war ich davon etwas enttäuscht (hätte dies meinen Eltern damals aber nie zu sagen gewagt), denn gerade der von mir wegen der „Musiksender“ bevorzugte Mittelwellenempfang ließ doch sehr zu wünschen übrig, wurde von mir aber zu allen Tages- und Nachtzeiten ausgiebig betrieben. Leider konnte man das Gerät auch nicht an das neue Tonbandgerät meines Vaters anschließen, so dass mein Bruder Thomas und ich die Hitparade von Radio Luxemburg (damals noch von Camillo Felgen moderiert) mit einem Mikrofon aufnahmen (was ich in den folgenden Jahren vereinzelt auch mit dem im Fernsehen samstags nachmittags laufenden Beat-Club so praktiziert habe).
Meine Unzufriedenheit mit dem Mittelwellenempfang führte zu dem dringenden Wunsch nach einem besseren Gerät, das ich mir dann im Laufe des Jahres 1966 oder zu Anfang 1967 von meinem Taschengeld geleistet habe. Leider erinnere ich auch hier nicht mehr den Hersteller. Es hatte jedenfalls eine bessere Kanaltrennung und wohl auch einen besseren Ferritstab. Besonders ist mir in Erinnerung, dass ich abends regelmäßig damit „Hallo Twen“ mit Manfred Sexauer auf der Europawelle Saar gehört habe, dessen Sendung um 18.05 Uhr ziemlich aktuell war mit allen neuen Platten aus England und den USA. Dort hörte ich beispielsweise zum ersten Mal „My friend Jack“ von den Smoke und war begeistert. Verschiedene Singles der Stones („Paint it black“, „We love you“), aber auch „Black is black“ von den Los Bravos oder die Troggs-Titel „Wild thing“ und „With a girl like you“ klingen mir heute noch in den Ohren, wenn ich an die Jahre 1965-67 zurückdenke. Überhaupt war die Musik die entscheidende Triebfeder, die mich immer wieder zum Radio führte. Die „Swinging Sixties“ blieben somit auch dem knapp 12jährigen Jungen nicht verborgen.
Am Karfreitag 1967 saß ich mit meinem Bruder Thomas im Auto meiner Eltern, die den Gottesdienst besuchten. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich im Auto die Mittelwellenskala auf- und abgefahren bin und von den englischen Sendern begeistert war, die „meine Musik“ und dabei immer neue Singles spielten, die ich noch nicht kannte. Meiner Tante Gisela, einer Englischlehrerin am Gymnasium, habe ich in dieser Zeit einmal die englischen Seesender am Radio „vorgespielt“ und sie gefragt, wie viel sie denn davon verstehe. Zu meinem Erstaunen sagte sie, die Diskjockeys sprächen mit verschiedenen, teils amerikanischen Akzenten und überhaupt viel zu schnell, so dass man nur wenig verstünde…
Am 14. August 1967 hörte ich dann im „Morgenmagazin“ auf WDR 2 einen Bericht über das am heutigen Tag bevorstehende Ende der britischen Seesender. Nach meiner heutigen Erinnerung wurde mir erst zu diesem Zeitpunkt richtig bewusst, dass es sich dabei um Sendungen von Schiffen oder in der Nordsee verankerten ehemaligen Marinestützpunkten handelte. Schmerzlich begriff ich, dass mir künftig etwas Wichtiges fehlen würde und ich umso mehr auf das von mir immer mehr als „Dudel- und Schlagersender“ wahrgenommene Radio Luxemburg angewiesen sein würde. In den Wochen darauf fragte ich mich mehrfach verwundert, warum man „Radio Caroline“ trotzdem immer noch hören konnte – irgendwann (im Nachhinein wissen wir: im März 1968) war es dann zunächst ebenfalls verschwunden.
Schon vor dem Inkrafttreten des britischen Anti-Seesender-Gesetzes tauchte überraschend ein Radio-Caroline-Diskjockey regelmäßig im Deutschen Fernsehen auf. Im Beat-Club machte Dave Lee Travis teilweise etwas läppisch wirkende Witzchen, führte aber mehrere, an die Seesender angelehnte (Video-)Jingles ein, die die ohnehin einzigartige Sendung zusätzlich aufpeppten.
1968-69
1968 und 1969 bin ich dann weitgehend auf BFBS und Hilversum III ausgewichen. Der Vorteil lag vor allem im weitgehend störungsfreien UKW-Empfang. Und die englische und niederländische Sprache faszinierten mich so sehr, dass ich in der Folgezeit (und eigentlich bis heute) kaum mehr deutschsprachiges Radio hörte. Als Geschenk zu meiner Konfirmation im Frühjahr 1969 erhielt ich von meinen Eltern einen neuen Empfänger, den ich lange kritisch ausgesucht hatte und der mir bis zum Untergang der Sendeschiffs Mi Amigo im März 1980 treue Dienste beim Empfang der Seesender leisten sollte: Der „Touring International“ von ITT Schaub-Lorenz hatte ein gespreiztes 49-Meter-Kurzwellenband und auch einen sehr guten Mittelwellenempfang. Ich konnte ihn an mein neues Tonbandgerät (Saba TG 446 automatic) anschließen, das ich mir ein Jahr später zulegte und mit dem ich viele Mitschnitte von den Offshore-Stationen machen sollte.
1970
Nachdem ich schon 1968 in den deutschen Zeitschriften und Zeitungen mehrfach vom letztlich gescheiterten deutschen
Noch am selben Tag hörte ich dann im 49-Meter-Band erstmals Hannibal (Ulf Posé) marktschreierisch das kommende „internationale Programm in mehreren Sprachen“ anpreisen. [
Nichtsdestotrotz wurde ich in diesem Jahr zum erklärten RNI-Fan, und Radio Veronica habe ich danach fast völlig vernachlässigt. Ich verpasste im Jahr 1970 kaum je einen Sendetag, keinen der vielen Frequenzwechsel und schalte unentwegt zwischen Kurz- und Mittelwelle hin und her, um den Empfang zu vergleichen und zu verbessern. Ich ärgerte mich natürlich unsagbar über die englischen Störsendungen, versuchte deshalb ständig durch kleine Frequenzanpassungen ein brauchbares Signal „herauszufiltern“ und drehte das Kofferradio hin und her, um den Ferritstab in die optimale Position zu bringen. Radiohören wurde in diesem Jahr mich zur Passion. Ich erkannte jeden RNI-Diskjockey an seiner Stimme. Dass ich zu diesem Zeitpunkt noch über keine Fotos vom Schiff und den Leuten an Bord verfügte, beflügelte meine Fantasien umso mehr. Roger ‚Twiggy’ Day, Carl Mitchell, Andy Archer und Mark Wesley wurden für mich zu „All-Time-Favourites“, und ich höre bis heute fast wehmütig die vielen Tonaufnahmen aus diesem Jahr. Auch Hannibal wurde besser, als er schließlich an Bord kam.
Anfang April 1970 sind meine Eltern mit mir und den beiden jüngeren Brüdern für ein Wochenende nach Scheveningen gefahren. Wir übernachteten zweimal im mondän-altbackenen Kurhaus Hotel und hatten miserables Wetter. Es regnete und stürmte, und so blieb mir genug Zeit die sonore Stimme von Duncan Johnson auf RNI zu hören, das gerade auf die neue Frequenz 190 Meter gewechselt war. [
Einige Wochen später empfing ich in Millingen wiederholt auch Capital Radio auf 270 Metern, das ich damals aber wenig interessant fand… Die Wassermusik von Händel irritierte den 14jährigen Hörer doch arg.
Die Störsendungen des britischen Post Office im Laufe des Frühjahrs führten im Juni während der heißen Phase des Wahlkampfs in Großbritannien zu der Umbenennung von Radio Nordsee International in Radio Caroline International. Ich war ziemlich enttäuscht und beunruhigt angesichts der “altmodischeren”, hausbackener klingenden Jingles und der sich häufenden Versuche einer politischen Einflussnahme während der Sendungen. Umso erfreuter nahm ich dann den Wahlsieg der Tories und die anschließende Rückbenennung in RNI zur Kenntnis.
In den Sommerferien zu Ende Juli habe ich mit einem Freund einige Tage am “Hagener Meer” (in der Nähe der von “Tante Grete” geführten Kneipe) in Haldern am Niederrhein gezeltet. Zu diesem Zeitpunkt war die Mebo II gerade an die holländische Küste zurückgekehrt, und der Empfang – jetzt endlich wieder ohne Störsignal – verbesserte sich um Längen. Wir haben von morgens bis abends RNI im Zelt gehört (meist ziemlich alkoholisiert). „Lola“ von den Kinks, „Question“ von den Moody Blues und „In the summertime“ von Mungo Jerry waren unsere RNI-Sommerhits.
Ab Anfang August war dann auch der zweite RNI-Kurzwellensender im 31-Meter-Band regelmäßig in Betrieb. Er erwies sich während unseres Familienurlaubs in Milano Marittima an der italienischen Adriaküste als hervorragende Möglichkeit, den geliebten Seesender von der Mebo II auch noch im südeuropäischen Ausland zu empfangen. Vor dem Abflug übernachteten wir im Landhotel Krummenweg in Ratingen, unweit vom Düsseldorfer Flughafen. Ich erinnere noch lebhaft, wie ich dort morgens in der Badewanne lag und Mark Wesley in hervorragender Mittelwellenqualität hörte. Alles war perfekt: Die flotte Musik, die modernen Jingles, seine professionellen Ansagen. Während der anschließenden Urlaubszeit in Italien machten meine Eltern regelmäßig einen Mittagsschlaf, und wir Kinder sollten dann ebenfalls auf unserem Hotelzimmer bleiben. So hörte ich dann am Samstag dem 29. August rechtzeitig, dass „Gefahr im Verzug“ war. Die aufgeregten Durchsagen von Carl Mitchell und Spangles Muldoon (Chris Cary) klingen mir noch im Ohr. Kees Manders scheiterte letztlich mit seinem Versuch der Schiffskaperung, und der gerade 15jährige RNI-Fan aus Deutschland hörte alles „live“ über Kurzwelle in Italien und schaltete zwischen dem 31- und 49-Meter-Band hin und her, während sich seine Familie nachmittags am Strand vergnügte.
Am 24. September war dann großer Katzenjammer angesagt, als RNI nach nur kurzer Vorankündigung plötzlich die Sendungen einstellte. Ich verfügte damals noch kaum über irgendwelches Insiderwissen. Die Begründung, man wolle Radio Veronica mit seinen langjährigen „Verdiensten“ dadurch schützen, leuchte mir überhaupt nicht ein und machte mich ärgerlich. Die Closedown-Sendung mit Alan West und Andy Archer musste meine Mutter für mich mit meinem Tonbandgerät aufnehmen, da ich an diesem Morgen in der Schule war. Erfreulicherweise klappte die Aufnahme trotz Mutters begrenzten technischen Kenntnisse, aber meine Trauer beim Anhören der Sendung war dann doch sehr groß.
Hugo van Gelderen, Cees van Zijtveld, Joost de Draaijer, Herman Stok und Ad Visser („Super-Clean-Dream-Machine“) hießen meine bevorzugten Diskjockeys von Hilversum III, auf das ich dann zunächst notgedrungen erneut zurückgriff. Später kamen Robbie Dale und Tom Mulder (Klaas Vaak) hinzu. Gelegentlich schaltete ich nachmittags Lex Harding und Tom Collins auf Radio Veronica ein, das aber auch in den kommenden Jahren nie mehr mein großer „Hit“ wurde. Nur „Het nationale zaterdagmiddag gebeurtenis“ mit Veronicas Top 40 fand ich wegen der Jingles attraktiv.
1971
In Zeiten des „Nicht-Empfangs“ habe ich in fast 3 Jahrzehnten umso häufiger und manchmal sogar mehrmals täglich die Mittelwellenskala nach neuen Sendern abgesucht, nur um nichts zu verpassen… So habe ich es auch nach dem vorläufigen Ende von Radio Nordsee International gehalten. Entsprechend bin ich vermutlich auch einer der ersten gewesen, die im Februar 1971 überraschender Weise wieder ein Signal auf 1367 kHz empfingen. Zunächst traute ich meinen Ohren nicht, hörte dann aber bald eine Ansage von Karl Prior, dass man „in de toekomst nog meer van Radio Noordzee“ hören werde. Die Testsendungen und der offizielle Start am 21. Februar (damals war ich grippekrank und verfolgte die Sendungen stundenlang im Bett) hörten sich viel versprechend an, zumal sich Alan West, Stevi Merike, Tony Allan, Crispian St. John und Martin Kayne unter den Diskjockeys befanden – fast alle „Seesender-erfahren“ und Meister ihres Fachs. Nur die vielen holländischen Schlager, die jetzt sogar in den RNI-Charts Einzug hielten und deren Titel von den Engländern nur mühsam ausgesprochen werden konnten, gefielen mir gar nicht. Auch der langweilige Start der niederländischen Programme mit Joost de Draaijer und Jan van Veen am 6. März war für mich eher ein schmerzliches Zeichen, dass mein geliebtes
Den Brandanschlag am 15. Mai habe ich nicht live im Radio verfolgt. Am nächsten Morgen erzählte mir mein Vater, in den deutschen Rundfunknachrichten sei berichtet worden, das Radio-Nordsee-Schiff habe am gestrigen Abend gebrannt. Entsprechend alarmiert stellte ich in der Tat fest, dass RNI an diesem Sonntagvormittag nicht sendete. Abends war ich dann schon beruhigter und hörte Alan West, wie er von den dramatischen Ereignissen berichtete. [
In diesem Sommer genoss ich die englischen „Summertime-RNI“-Sendungen am späten Nachmittag und am Abend mit Alan West und vor allem mit Stevi Merike. Seine abendlichen Shows stehen an der Spitze dessen, was ich selbst mit eigenen Ohren von den Seesendern mitbekommen habe. Seine lustige Präsentation, die vielen (oft hausgemachten) Jingles, Promos, verschiedene Erkennungsmelodien und meist auch die Musik waren großartig. [
Die Möglichkeit, RNI eventuell auch über UKW zu empfangen, beflügelte immer wieder meine Fantasie. Zahllose Male versuchte ich mit meinem Kofferradio oder auch im Auto ein Signal zu hereinzubekommen, hörte etwas von theoretisch möglichem Überreichweitenempfang. Doch vergebens, es gelang mir nie. An einem schönen Frühsommertag haben meine Eltern mit uns dann einen Tagesausflug ins bekannte Katwijk gemacht.
In dieser Zeit begannen auch die sonntäglichen NorthSea-Goes-DX-Sendungen mit dem belgischen Sprachtalent A.J. Beirens.
Im Sommer bin ich für drei Wochen zu einem Sprachkurs nach Eastbourne in Sussex gefahren. Dort wohnte ich bei einer englischen Familie. Meine Gastmutter schwärmte zwar von den alten Offshore-Zeiten und erinnerte sich auch lebhaft an Radio Caroline und Radio London. RNI kannte sie zu meiner Enttäuschung aber gar nicht, und sie hörte entsprechend nur BBC Radio 1. Der RNI-Empfang an der englischen Südküste ließ allerdings auch sehr zu wünschen übrig. Ich empfing dort ein recht schwaches Signal, das eher schlechter war als bei uns zu Hause in Millingen.
Am Nachmittag des 22. November berichtete plötzlich Robbie Dale auf Hilversum III, dass seine Kollegen auf der Mebo II heute in Schwierigkeiten geraten waren. Die Ankerkette war gerissen, und man war weit abgedriftet. Jetzt gegen Abend war aber alles schon wieder in Ordnung, und ich hörte einen inzwischen wieder entspannten Nico Steenbergen von den aufregenden Ereignissen berichten. [
1972
Zunächst folgte dann eine hinsichtlich der Seesender weniger aufregende Zeit. RNI wurde nach meinem Geschmack ein etwas langweilig, sieht man mal von den Live-Sendungen mit Hans ten Hooge (Hogendoorn) und Leo van der Goot ab, die sich wohltuend von den meisten im
Am 30. September rückten dann die Seesender wieder mehr in den Mittelpunkt. Radio Veronica kündigte wochenlang den Wechsel auf eine neue Frequenz an. „538“ statt „192“ hieß die Losung. Zu Hause bei meinen Eltern hatte ich das Tonbandgerät startklar gemacht und wollte das Ereignis ausführlich dokumentieren. Der Empfang auf der neuen Frequenz war wesentlich besser, und ich fragte mich, warum man das nicht schon eher realisiert hatte. Dann jedoch kam plötzlich die Überraschung. „RNI 2“ meldetet sich mittags direkt nach der Frequenzumstellung auf 1562 kHz. Man hörte Tony Allan mit seinen Ansagen und fragte sich: Ist das nun die Riesenverarschung zur Verunsicherung vieler Veronicahörer, oder will man tatsächlich ein zweites RNI-Programm starten? Ich habe meine Tonbandaufnahmen jedenfalls von „RNI 2“ und nicht von „Veronica 538“ gemacht. Leider hörte man die niederländischen RNI-Sendungen unterschwellig mit, da keine saubere Trennung der beiden Signale gelang. [
Kurz vor Weihnachten empfing ich dann in Millingen recht problemlos die provisorisch „Radio 199“ genannten Sendungen von der MV Mi Amigo und freute mich über die bekannten Stimmen von Crispian St. John und Andy Archer, die mir durch ihre Zeit auf der Mebo II sehr vertraut waren. Die Umbenennung in „Radio Caroline“ folgte noch vor Weihnachten. Die vielen niederländischen Diskjockeys an Bord ließen mich befürchten, wohl niemals mehr das „echte“ Radio Caroline der sechziger Jahre zu hören, und die zahllosen Reklamespots kleiner Werbekunden führten in den kommenden Monaten zum Beigeschmack einer oft amateurhaft anmutenden Lokalstation. Den Jahreswechsel habe ich mit bei Freunden in Bochum gefeiert. Am 28. Dezember empfing ich dort noch ein schwaches Signal von der Mi Amigo. Erst nach meiner Rückkehr zu Anfang Januar hörte ich Caroline dann wieder – und hatte somit nichts mitbekommen von der zwischenzeitlichen Meuterei an Bord und dem erzwungenen „Abstecher“ des Schiffes zurück in den Hafen von IJmuiden.
1973
Im Frühjahr 1973 überschlugen sich auf einmal die Ereignisse: Ein Sturm fegte die Norderney, das Sendeschiff von Radio Veronica, an den Strand von Scheveningen. In der „Rheinischen Post“, unserer heimischen Zeitung, erschien ein großer Bericht mit eindrucksvollen Bildern.
Durch die unverhofften Einkünfte konnte Radio Caroline im Frühjahr dann sogar auf zwei Frequenzen parallel senden. „389“ verbreitete das hörenswerte englische Programm mit Paul Alexander [
Nach der Rückkehr aus Frankreich war ich dann umso perplexer, als nun völlig unerwartet „Radio Atlantis“ mit mehreren, für meine Ohren etwas befremdlich klingenden flämischen Diskjockeys von der Mi Amigo sendete. Die Frequenz des von flämischen Schlagern und schrecklicher Werbung geprägten Senders wurde zunächst fälschlich mit „385“ angegeben. Der Empfang der offensichtlich vorproduzierten Programme war in unserer Region zwar prächtig. Aber wesentlich besser gefiel mir dann doch am Abend auf derselben Frequenz „Radio Seagull“, ein alternativer, vorrangig „Alben“ auch unbekannter Gruppen spielender Sender, der von Andy Archer und Norman Barrington-Smythe dominiert schien. Die langhaarig-unangepassten, mehr am Rande der Gesellschaft stehenden Hippies hatten nun endlich ihr eigenes Sprach- oder besser noch: Musikrohr. Die englischen RNI-Sendungen, zu denen nun auch der (ansonsten von mir geschätzte) ‚Daffy’ Don Allen mit seinem nach meinem Geschmack fürchterlichen Countryprogramm gehörte, fand ich im Vergleich dazu kaum mehr hörenswert – und das im doppelten Wortsinn: Der abendliche und nächtliche Empfang auf 1367 kHz (220 Meter) war im Westen der Bundesrepublik überaus mies, und der Kurzwellenempfang gelang bei Dunkelheit so gut wie gar nicht.
Nach wenigen Monaten knickte dann zum wiederholten Male der Mast auf der MV Mi Amigo um, woraufhin der belgische Waffelbäcker Sylvain Tack zum Jahresende als notwendige Finanzspritze mit seinem neuen „Radio Mi Amigo“ die Nachfolge seines Landmannes und Boutiquenbesitzers Adriaan van Landschoot antreten sollte. Am 1. Weihnachtstag hörte ich dann vom neuen Mast (der bis zum Untergang der Mi Amigo – und selbst noch danach – standhielt!) eine wunderschöne Testsendung auf „259“ mit Andy Archer und Norman Barrington. Die Mannschaft an Bord schien offensichtlich gut gelaunt und voller Zukunftspläne. Man nahm Kontakt auf mit der Mebo II und veräppelte immer wieder den RNI-DJ Mike Ross mit vielen gut gemachten „Toad“-Promos.
1974
Am Neujahrstag 1974 empfing ich Radio Mi Amigos Eröffnungssendung mit Will van der Steen zwar mit sehr kräftigem Signal, das aber von bemerkenswert kurzer Dauer war, denn die Ausstrahlung wurde schon während der ersten Stunde wegen Generatorproblemen abgebrochen. Dem Fehlstart folgten dann aber unerwarteter Weise fast 5 weitere Jahre, und gerade Radio Mi Amigo sollte mich somit noch lange und intensiv begleiten.
Zu dieser Zeit stand ich kurz vor dem Abitur, und ich hatte das Privileg, dass ich den alten VW-Käfer von meiner schon erwähnten Tante Gisela besonders günstig übernehmen konnte. So fuhr ich in der ersten Jahreshälfte häufig mit eigenem Auto zur Schule und hatte natürlich ein Radio mit gutem Mittelwellenempfangsteil eingebaut. Damit erreichte ich gerade bei schwachen Sendern oft bessere Ergebnisse als mit meinem Kofferradio. Meist suchte ich während der Fahrt die ganze Skala ab – man konnte ja nie wissen. Und so empfing ich dann im Januar auch die ersten Signale des wieder auferstandenen Radio Atlantis, das jetzt mit der MV Jeanine ein eigenes Schiff benutzte und somit nicht mehr auf die Mi Amigo angewiesen war. Crispian St. John hatte schon wieder den Arbeitgeber gewechselt… Radio Atlantis wurde bekanntermaßen zu einem Riesenspaß für alle Beteiligten. Dabei stachen die englischen Sendungen besonders hervor, die live vom Schiff abends und in der Nacht gesendet wurden. Ich habe den Werdegang des Senders bis Ende August ständig verfolgt – gerade auch wegen der Empfangsprobleme und der immer wieder wechselnden Frequenzen. Die Shows sprühten vor Witz, Lockerheit und Spontaneität. Andy Anderson, Dave Owen, David Rogers und vor allem Steve England mit seinen unzähligen Jingles und Promos ließen den Spaß am Radiomachen ganz deutlich erkennen und waren ein absolutes Offshore-Highlight. [
Noch mehr Freude hatte ich aber an den englischen Sendungen von der Mi Amigo. Radio Seagull wurde im Februar nun doch wieder in
Nach meinem Abitur zu Anfang Juni bin ich mit einem guten Freund einen Monat lang kreuz und quer durch Schweden und Norwegen gefahren und habe dort die Seesender und das Radiohören nahezu vergessen. Auf den Campingplätzen haben wir die Fußball-WM in der Bundesrepublik verfolgt und gemeinsam mit vielen holländischen Fans die westdeutsche Mannschaft schließlich gewinnen sehen. Erst bei der Rückfahrt am 13. Juli entlang der dänischen Nordseeküste nahm ich dann zumindest war, dass RNI und Radio Veronica weiterhin „on the air“ waren. So hörten wir im Auto laut die Nordsee Top 50 mit Ferry Maat.
In den Spätsommerwochen bin ich wegen der Arbeit meist schon morgens um 5 Uhr aufgestanden und habe dann beim Frühstück die letzte Stunde der Nachtsendungen von Radio Caroline gehört. Unzählige Male hörte ich dann zum Sendeschluss um kurz vor 6 Uhr „New Riders of The Purple Sage“ mit „On My Way Back Home“, ein schnulziges, aber ins Ohr gehendes Lied, das für mich zur wahren Carolinehymne wurde. Es folgte danach die sprachbegabte Haike Dubois auf Radio Mi Amigo, die meist auch eine Ansage auf Deutsch machte… [
Zu Ende Oktober war dann Abschied angesagt: Ich zog nach Münster (Westfalen), begann den Zivildienst im Operationsbereich des Hüfferstifts, der Orthopädischen Universitätsklinik. Abschied nehmen nicht nur von den Eltern und Geschwistern, sondern auch von meinen langjährigen, lieb gewonnen Hörgewohnheiten. Die Empfangsqualität war in Münster doch wesentlich bescheidener. Dennoch verging kein Tag ohne Radio Mi Amigo und Radio Caroline, zumindest im Auto.
Zu Weihnachten erlaubte ich mir das tolle Buch „Offshore Radio“ von Gerry Bishop, aus dem ich viel über die Seesender-Geschichte lernte. Die gestochen scharfen Fotos stimmten mich etwas wehmütig. Man hatte fälschlicher Weise das Gefühl, dass nun wohl nicht mehr viel folgen sollte…