Das Fracht- und Vermessungsschiff Gorsethorn, ursprünglich die Dido 77, mit einer Länge von 258 Fuß, wurde 1963 von Charles Hill & Sons Ltd in Bristol, England, erbaut. Das Schiff, nun in rostigem Braun gestrichen und mit einem Gewicht von 1.140 Tonnen, wurde im Frühjahr 1990 mit monumentalen chinesischen Schriftzeichen versehen. An der Bugseite des Radioschiffs befand sich eine Nachbildung der Göttin der Demokratie, einem Symbol der chinesischen Demokratiebewegung, die im Juni 1989 von der Armee in Peking gewaltsam unterdrückt wurde. Die ursprüngliche Statue, ähnlich der amerikanischen Freiheitsstatue, war während der brutalen Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz unter den Ketten eines chinesischen Panzers zerstört worden. Zusätzlich zierte der Name “Déesse de la Démocratie” in ungeschickten Buchstaben den Bug des Schiffes.
Die “Déesse” war in Saint Vincent registriert und wurde von Marine Services Convoyages in La Rochelle überholt. Das künftige Sendeschiff sollte am 3. und 4. Juni 1990, dem Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Demonstranten auf dem Tiananmen-Platz, Radiobotschaften von und für chinesische Dissidenten übertragen. Man plante, den noch zu installierenden Radiosender bereits am 27. April in Betrieb zu nehmen, genau ein Jahr nach den ersten Unruhen gegen die chinesische Regierung.
Das Projekt war äußerst ehrgeizig und weckte weltweit riesige Erwartungen und großes Medieninteresse. Ziel war es, die Wahrheit über die chinesische Demokratiebewegung, das Massaker durch die Armee, die Unterdrückung und den Widerstand zu verbreiten. Chinesische Dissidenten, die im Juni 1989 aus dem Land geflohen waren, sollten vom Schiff aus ihre Botschaften nach China senden. Eins der ersten Programme sollte einen 20-minütigen, vorab aufgezeichneten Bericht der Studentin Chai Ling enthalten. Auch führende Dissidenten wie Wu Er Kaixi, Shen Tong und Yan Jiaqi sollten ihre Stimme erheben. Die Besatzung der “Goddess of Democracy” plante nicht nur Radiosendungen, sondern auch Fernsehbotschaften von internationalen Gewässern zum Festland zu senden. Dabei handelte es sich um trotzige Forderungen nach Demokratie, umgarnt von Rockmusik.
Die Organisatoren gaben an, dass das Schiff Taiwan als Basis nutzen würde, um zwischen den Sendungen im Ostchinesischen Meer Treibstoff und Proviant zu bunkern. Finanziell war es möglich, zwei Monate lang rund um die Uhr zu senden.
Die Schiffstaufe zog zahlreiche Prominente an. Der französische Chansonnier und Schauspieler Yves Montand zitierte ironisch aus der Mao-Bibel, während der Philosoph André Glucksmann betonte, dass es eine Pflicht sei, sich einzumischen.
Die Reise war sorgfältig vorbereitet. Im Herbst 1989 wurde in Paris die Vereinigung “Ein Boot für China” gegründet, bestehend aus der Föderation für Demokratie in China (FDC), der größten Organisation chinesischer Oppositioneller im Ausland, sowie 16 Zeitschriften in Europa und Amerika, darunter “Actuel” in Frankreich und “Tempo” in Deutschland.
Die chinesische Regierung hingegen ließ über ihre Pariser Botschaft verlauten, dass das Schiff von “Kriminellen” losgeschickt worden sei, und drohte mit “Einmischung” und “Propaganda”.
Am 17. März verließ das künftige Sendeschiff den französischen Hafen La Rochelle mit dem Ziel der Formosastraße zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland. An Bord befanden sich elf französische Seeleute, TV-Teams, Journalisten und eine Kiste mit sendefertigen Rundfunkbändern.
Kurz hinter Gibraltar nahm ein chinesischer Frachter Kollisionskurs auf die “Göttin”. Erst nach hektischem Funkverkehr drehte er ab. Vor der libyschen Küste flogen mehrmals Kampfjets im Tiefflug über das Schiff. In Dschibuti versuchten chinesische Diplomaten, die Besatzung zum Aufgeben zu bewegen. Nach dem Auftanken im Hafen von Singapur näherten sich beim Auslaufen des Schiffes drei Schnellboote ohne Flagge mit aufgeblendeten Scheinwerfern und “begleiteten” das Schiff aus dem Hafen. Der Psychoterror erreichte kurz vor Taiwan seinen Höhepunkt, als ein chinesisches U-Boot geortet wurde.
Die Mannschaft musste bei jeder dieser Bedrohungen ihre gesamte Energie aufbringen, um nicht in Panik zu geraten. Peking hatte mittlerweile die Drohung verbreitet, die geplanten Radiosendungen auf keinen Fall zu dulden. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Li Jinhua, erklärte auf einer Pressekonferenz am 26. April: “Dieses Schiff ist ein Werkzeug der reaktionären Organisation Front for Democracy in China. Ihr Ziel ist es, die Volksregierung zu untergraben.” Sie drohte offen mit Gewalt, um das Senden des Schiffes zu verhindern.
“Die Regierung hat Angst, weil die Kommunisten Druck ausüben”, widersprach Michael Chen, ein in Taiwan ansässiges Mitglied des “Boat for China”-Projekts. “Aber die Menschen in Taiwan werden dieses Schiff hierherlassen. Die Zivilisten, die Fischer, sie werden es unterstützen.”
Trotz aller Widrigkeiten legte die “Déesse de la Démocratie” in 8 Wochen rund 20.000 Kilometer zurück und erreichte schließlich Taiwan.
Am 13. Mai schienen alle Bedrohungen vergessen. Frisch geputzt und mit gehisster Flagge lief die “Göttin” am 13. Mai im Hafen von Keelung ein. Schulklassen, Blaskapellen und eine beeindruckende Anzahl von Ministern, einflussreichen Geschäftsleuten und Regierungsbeamten warteten an der Mole, um dem Schiff einen triumphalen Empfang zu bereiten. Tausende Menschen schwenkten Fähnchen und jubelten. In den Hauptnachrichtensendungen aller asiatischen Länder war das Schiff tagelang die Spitzenmeldung. Am Kai drängten sich Fernsehteams, um an Bord zu kommen. Zeitungen weltweit, von der “International Herald Tribune” bis zur “Taz”, berichteten ausführlich über die Ankunft des Radioschiffs.
In Taiwan sollte ein aus Frankreich eingeflogener 50kW-Mittelwellensender in das Schiff eingebaut werden. Doch begann ein zäher diplomatischer Konflikt um den Sender, der noch in einer Lagerhalle stand. “Actuel”-Herausgeber Jean-François Bizot flog zusammen mit Yan Jiaqi, dem Chef der FDC, Hals über Kopf von Paris nach Taipeh, als er von der Blockade des Senders erfuhr. Beide trafen auf den taiwanesischen Regierungssprecher und erfuhren, dass seine Höflichkeit nur Fassade war. “Er hat uns schweigend eine halbe Stunde lang zugehört”, berichtete Bizot entsetzt, “und dann erklärt, dass der Radiosender illegal sei. Das war’s.” Die taiwanesische Regierung strebte zu dieser Zeit Öffnung und Entspannung mit den Kommunisten an. Präsident Lee Teng-hui sprach von “weitestgehender Kooperation”. In dieser Situation hatte Taiwan kein Interesse, Peking durch Unterstützung von Dissidenten zu verärgern. Die Blockade des Senders führte zu Spannungen und Problemen, einschließlich ausstehender Löhne und Schulden.
Der ursprüngliche Plan, nach China zu senden, scheiterte. Bizot und die FDC wollten zumindest am 4. Juni, dem ersten Jahrestag des Tiananmen-Massakers, senden. Die japanische Fernsehkette “TV Asahi” bot Hilfe an, und es wurde geplant, mit der “Déesse” nach Japan zu fahren, dort einen Sender zu installieren und von internationalen Gewässern aus zu senden.
Nach langen Beratungen verweigerte die japanische Regierung der Schiffsbesatzung jedoch die Visa. Man wollte die exzellenten Wirtschaftsbeziehungen zu Peking nicht gefährden. Japan wurde somit am 21. Mai nach Hongkong und Taiwan das dritte asiatische Land, das dem Drängen Pekings nachgab. Diese Entscheidung zeigte eine wachsende regionale Zurückhaltung, sich mit den Hardlinern Pekings anzulegen. Es markierte eine erstaunliche Kehrtwende, da die chinesische Führung nur ein Jahr zuvor heftig kritisiert worden war.
Wie ging es nun mit der “Déesse” weiter? Im April 1991 kaufte der taiwanesische Geschäftsmann Wu Meng-wu das Schiff für 550.000 US-Dollar von der in Frankreich ansässigen Chinese Shipping Association, einer von dem im Exil lebenden chinesischen Dissidentenführer Yan Jiaqi in Paris gegründeten Gruppe. Später wurde das Schiff in ein schwimmendes Museum umgewandelt, das Fotografien und Informationen über die blutige Unterdrückung der chinesischen Pro-Demokratie-Aktivisten auf dem Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 zeigte.
Das Schiff lag im Hafen von Anping in der südlichen Stadt Tainan vor Anker. Im Jahr 1995 drohte Wu Meng-wu, eine internationale Pressekonferenz abzuhalten, um der Welt von allen Tricks zu berichten, die die nationalistische Regierung gegen ihn gespielt habe, seit sie ihn überredet habe, das Schiff zu kaufen.
Der Kabinettsausschuss für Festlandangelegenheiten (MAC) forderte die halbamtliche “Allianz für die Wiedervereinigung Chinas unter den Drei Prinzipien des Volkes” auf, das Schiff zu kaufen. Das Angebot wurde abgelehnt, da die Allianz nicht über ausreichende Mittel verfügte.
Die Hafenverwaltung von Kaohsiung bat den MAC, sich mit Wu Meng-wu zu einigen und das Schiff zu verschrotten, da es seit 1991 ohne Zahlung von Gebühren im Hafen lag. Chen Chin-fung, Hafenadministrator, erklärte, dass sich das Schiff neige, stark roste und Sicherheitsprobleme habe.
Im September 2003 begann Taiwan mit der Verschrottung des Radioschiffs “Goddess of Democracy”, das seit 1990 in der Werft lag. Die Abrissarbeiten, die etwa 70 Tage dauern sollten, begannen nach einer Zeremonie in Anping, einem Hafen im südlichen Tainan County, wie Wu Meng-wu, der Eigentümer des Schiffes, mitteilte. “Dies ist ein Schlag für diejenigen, die sich für Freiheit und Demokratie in China eingesetzt haben”, sagte ein wütender Wu der AFP in einem Telefoninterview. Wu wurde im März 2003 angewiesen, das Schiff zu verschrotten, nachdem er einen Rechtsstreit gegen die Hafenbehörden von Anping verloren hatte, die darauf bestanden, dass das Schiff entfernt werden müsse, um Platz für die Hafenerweiterung zu schaffen, und dass Wu mindestens zwei Millionen taiwanesische Dollar (etwa 58.650 US-Dollar) an hafenbezogenen Gebühren zahlen müsse. Wu stimmte zu, sein Schiff bis zum 10. September zu zerlegen, bestritt jedoch, den Behörden irgendwelche Gebühren zu schulden. Wu behauptete, dass die Regierung ihm nach dem Kauf des Schiffes versprochen habe, ihm entgegenzukommen.
Wu gab an, fast 100 Millionen taiwanesische Dollar (2,93 Millionen US-Dollar) für das Schiff ausgegeben zu haben. Wang Tien-chu, Leiter des Anping Harbour Bureau, erklärte jedoch, dass das Schiff entfernt werden müsse. “Um die Wahrheit zu sagen, es handelt sich um nichts anderes als ein verlassenes Schiff. Es hat keine aktualisierte Bescheinigung über die Fahrtüchtigkeit erhalten”, sagte er. “Herr Wu mag einige Beschwerden gegen mich haben. Aber was kann ich tun? Ich kann nur offizielle Richtlinien umsetzen, auch wenn ich respektiere, was er für die Demokratiebewegung auf dem Festland getan hat”, sagte Wang der AFP.
Martin van der Ven (2024)